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Thema der Woche | 14. Juni 2018

Gegen die Verblendung

Gedenkinstallation für Opfer der Marburger Jäger – Grafik: Hünnerkopf

Das Jäger-Denkmal im Schülerpark soll von einer Gedenkinstallation für Opfer der Marburger Jäger umrahmt werden. Je nach Blickwinkel verdeckt diese In­stal­lation teilweise die Sicht auf das bestehende Bauwerk.

Das ist das Konzept des Künstlers und Kommunikationsdesigners Heiko Hünnerkopf, der den international ausgeschriebenen Kunstwettbewerb für eine Gedenkinstallation für die Opfer der "Marburger Jäger" gewonnen hat. Seine Installation mit dem Titel "Verblendung" soll möglichst noch dieses Jahr um­ge­setzt werden.

Hünnerkopfs Idee ist es, viertelkreisförmig Winkelprofile vor dem Jäger-Denk­mal installieren. "Wir beseitigen die Geschichte nicht. Aber das Kunstwerk 'Ver­blendung' tritt in eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Jäger-Denk­mal", sagte Oberbürgermeister Thomas Spies bei der Gewinnerpräsentation des Wettbewerbs. "Es stellt sich der gewaltigen Säule des Jäger-Denkmals. Dabei lässt es das Denkmal nicht verschwinden, sondern setzt einen klaren Gegen­punkt", so Spies. "Ich wünsche mir, dass Menschen durch eine solche optische Irritation dazu angeregt werden, sich mit der Installation, den Marburger Jägern und deren Opfern auseinanderzusetzen."

Angesichts der Vielzahl an qualitativ sehr guten Ideen sei der Jury die Ent­schei­dung nicht leichtgefallen, unterstrich Spies, der den Vorsitz der neun­köpfige Jury inne hatte.

"Wir wollten das Thema Gedenkinstallation politisch angemessen darstellen – in hoher Qualität. Daher haben wir den Wettbewerb international aus­ge­schrie­ben und einige Kunstschaffende als Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesetzt", erklärte Kulturamtsleiter Richard Laufner.

In der Begründung der Jury des Kunstwettbewerbs heißt es: "Mit seinem Ent­wurf 'Verblendung' findet der Künstler und Kommunikationsdesigner Heiko Hünnerkopf eine verständliche, aber keineswegs triviale Formsprache. Mit starker Wirkung im öffentlichen Raum und als kritischer Kommentar zum Jäger-Denkmal ist die 'Verblendung' doppeldeutig gemeint: Als optische (Teil-) Verblendung dieses Denkmals von 1923, aber auch als Thematisierung der ideologischen Verblendung der 'Marburger Jäger' als angesehene Akteure der Marburger Stadtgesellschaft in einem militaristischen Kaiserreich. In der Gestaltung ist die künstlerische Intervention sanft und radikal zugleich: Sie lässt das Jäger-Denkmal einerseits unberührt und sorgt doch für eine visuell ein­dringliche Irritation. Der überzeugende Gesamteindruck wird komplettiert durch Detailinformationen an den Winkelprofilen."

Der zweite Preis des Kunstwettbewerbs geht an Burkhard Hagen Fischer und seinen Entwurf "Die Anderen". Der dritte Preis geht an die Kunststudentin und Steinbildhauerin Antje Dathe aus Halle/Saale.

"Die Unfähigkeit zur Einsicht"

Künstler Heiko Hünnerkopf über die Auseinandersetzung mit der Geschichte

Express: Sie wollen mit Ihrem Kunstwerk das Jäger-Denkmal verdecken?

Hünnerkopf: Nein, ich will es nicht verdecken, sondern konfrontieren. Das Denkmal bleibt weiter sichtbar, aber eingeschränkt: Die halbkreisförmig an­ge­ordneten Winkelprofile meines Entwurfs sollen nur bruchstückhafte Einblicke auf den Ort gewähren, je nach Blickwinkel mal offener, mal geschlossener. So wie die Opfer und deren Angehörige vor den Bruchstücken ihres Lebens stehen, so sieht der Betrachter lediglich Fragmente des Denkmals. Mir geht es darum um einen Kontrapunkt zu setzen, zu den Taten der Marburger Jäger.

Express: Das machen Sie auch mit dem mehrdeutigen Titel "Verblendung" ...

Hünnerkopf: Es geht mir darum, die Unfähigkeit zur Einsicht zu Thematisieren. Dafür steht der doppeldeutige Titel der Installation. "Verblendung" nimmt zum einen bewußt Bezug auf den architektonischen Kontext als "Verkleidung, Ab­deckung". Zum anderen befasst er sich mit der Begrifflichkeit, der Unfähigkeit zu vernünftiger Überlegung, zu Einsicht, dem Verblendetsein. Die Folgen dieses "Kadavergehorsams" sind uns hinreichend bekannt, so führten sie uns in zwei Weltkriege und eine NS-Diktatur.

Express: Was hat Sie gereizt, bei dem Kunstwettbewerb mitzumachen?

Hünnerkopf: Es geht um ein Thema, dass ganz Deutschland beschäftigt – die Aufarbeitung der Geschichte, der Umgang mit dem deutschen Militarismus. Und wir sehen ja immer wieder, dass auch die Nazizeit noch nicht richtig auf­ge­ar­beitet ist.

Express: Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Marburger Jäger heute?

Hünnerkopf: Enorm. Schauen sie sich die aktuelle politische Entwicklung in Europa an. Da kann einem Demokraten nur Angst und bange werden. Ich glaube, es ist wichtiger denn je, dass man sich heute mit der Geschichte aus­ein­andersetzt, so auch mit der Beteiligung der Marburger Jäger an Kriegs­ver­brechen,Terror und Völkermord.

In einer Zeit der Politikverdrossenheit und dem Erstarken der rechten Ränder in Europa liegt es an uns, in einer Demokratie aufmerksam sein, uns zu beteiligen und kritisch zu hinterfragen. Nur durch unser Zutun sichern wir den Frieden und tragen zur Völkerverständigung bei, damit wir nicht wieder die gleichen Fehler machen.

Hintergrund
Das Marburger Stadtparlament hatte im Dezember 2016 den Beschluss für diesen Kunstwettbewerb für eine Gedenkinstallation in Auseinandersetzung mit dem Jäger-Denkmal im Schülerpark gefasst. Diese Installation solle "in direkter Kommunikation/Konfrontation" mit dem Kriegerdenkmal im Schülerpark stehen und "ein Beitrag für die Aufarbeitung der Geschichte des Militarismus in Marburg und ein lokaler Beitrag für eine Kultur des Friedens und der Völkerverständigung sein". 55 Bewerbungen aus Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich und Namibia waren eingegangen. Die Preise des Kunstwettbewerbs sind mit 2000 Euro, 1500 Euro und 1000 Euro dotiert.
Zu den "Marburger Jägern"
1866 in Marburg aufgestellt, wurde das Hessische Jäger-Bataillon Nr. 11 im Krieg gegen Frankreich 1870/71 erstmals eingesetzt und war an der Niederschlagung der Pariser Kommune beteiligt. Die Jäger kämpften 190/01 beim Boxeraufstand in China und 1904/07 gegen Herero und Nama im heutigen Namibia. 1914 war die Einheit an Kriegsverbrechen in Dinant (Belgien) beteiligt, bei denen deutsche Truppen ein Massaker an Zivilisten verübten.
Nach den Erkenntnissen der Marburger Geschichtswerkstatt, die im Auftrag des Stadtparlaments die Geschichte der Marburger Jäger aufgearbeitet hat, haben die Jäger auch bei der brutalen Niederschlagung einer Arbeiterdemonstration im schlesischen Königshütte 1919 mitgewirkt.
Eine Stadtschrift zu den "Marburger Jägern", in der die Erkenntnisse der For­sch­ungen für die Studie noch einmal neu überarbeitet und ergänzt wurden kann im Rathaus-Verlag erworben werben.
Infos der Geschichtswerkstatt samt der kompletten Studie über die "Marburger Jäger" finden sich im Internet unter www.geschichtswerkstatt-marburg.de/projekte/mr-jaeger.

Interview: Georg Kronenberg

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