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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 18. März 2010

Die Sprache der Augen

Gedankenlesen unnötig: Unsere Pupillen verraten verborgene Entscheidungen

Schau mich mal an! Sagst du auch die Wahrheit?" Mit manch tiefen Blick in die Augen von Mitmenschen versuchen wir uns von der Aufrichtigkeit unserer Kinder, Partner, Freunde und Kollegen zu überzeugen. Doch wie viel kann man wirklich aus unserem Blick heraus lesen? Ist es möglich, mit genug Wissen und Geschick die Pupillenreaktionen eines Menschen so zu deuten, dass man seine tiefsten Gedanken lesen kann und eine Lüge sofort erkennt? Neurowissenschaftler aus Marburg, Australien und den USA untersuchten den Zusammenhang zwischen Pupille und Entscheidungsprozessen. In ihren Experimenten stellten sie Erstaunliches fest: Entscheidungen lassen sich tatsächlich in einem bestimmten Maß an Hand von Pupillenreaktioen vorhersagen.

Als "Spiegel der Seele" gelten die Sinnesorgane und haben dadurch in der Gesellschaft eine große Bedeutung. Eine der Thesen des Marburger Neurophysikers Prof. Dr. Wolfgang Einhäuser-Treyer ist, dass Augen und insbesondere die Veränderungen der Pupillen als nonverbale soziale Kommunikationsmittel dienen. Große Pupillen wirken besonders erotisch und anziehend. Im 19. Jahrhundert träufelten sich italienische Frauen Tollkirsche in die Augen, um ihre Pupillen zu erweitern. Deswegen erhielt das Nachtschattengewächs auch den Beinamen "belladonna", schöne Frau. Und noch heute gilt das Candle Light Dinner als ein besonders romantisches Rendezvous. Wieso? Weil sich unter anderem die Pupillen in den schummrigen Licht vergrößern. In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielt die Pupille eine bedeutende Rolle, dafür ist der Neurotransmitter Noadrenalin verantwortlich.

Der Transmitter hat eine anregende Wirkung auf den Körper und steht deswegen in einen engen Zusammenhang mit emotionalen Erregungszuständen. Schwankt man zwischen zwei gleichwertigen Entscheidungsmöglichkeiten, schüttet der Körper Noadrenalin aus, sobald die Tendenz für eine der beiden Möglichkeiten steigt. Durch den Neurotransmitter wird die Tendenz verstärkt. Dieser Mechanismus hilft somit bei der Konsolidierung einer Entscheidung, man nennt diese Funktion auch "fight or flight" – kämpfen oder fliehen. Evolutionär bedingt ist es sinnvoll, sich schnell für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden und nicht zwischen ihnen hin und her zu schwanken.

Die Marburger Forscher untersuchten in ihren Experimenten, ob man an den Reaktionen der Pupille auch den Moment der Entscheidung benennen kann. Zwei Versuche wurden unternommen. Einmal mussten die Probanden innerhalb von 10 Sekunden eine Taste betätigen, die Entscheidung wurde also unmittelbar mitgeteilt. Beim zweiten Versuch sollte die Testperson sich für eine Zahl aus einem Countdown entscheiden und diese erstmal geheim halten. Das Interessante ist, sobald sich eine Person für eine Zahl oder den Tastendruck entschied, zeigten die Pupillen der Probanden die gleiche Reaktion.

Den Marburger Neurowissenschaftlern gelang es so, den genauen Zeitpunkt für die Konsolidierung einer Entscheidung festzulegen und somit auch die im Verborgenen gewählte Zahl der Probanden. Bei dem ersten Versuch lag die Trefferquote bei fast 100%. Beim zweiten sagten die Wissenschaftler mit einer Durchschnittswahrscheinlichkeit von 75% die richtige Zahl voraus. Auch der Laie könnte dies bewerkstelligen, da Pupillenveränderungen ohne Probleme auch mit bloßem Auge sichtbar sind. Im Alltag wird die Pupille jedoch von weit mehr als nur von Entscheidungsprozessen beeinflusst, zum Beispiel vom einfallenden Licht. Zudem gibt es auch individuelle Unterschiede in der Lesbarkeit. Trotzdem beeindrucken die Ergebnisse der Wissenschaftler.

Mit Gedankenlesen oder einer neuen Art von Lügendetektor hat dies jedoch wenig zu tun", betont auch Prof. Einhäuser-Treyer. Natürlich beinhalte diese Art der Forschung immer einen gewissen "Mindreading"-Aspekt, eine klinische Verwertung der Ergebnisse sei jedoch viel sinnvoller. Der Neurophysiker hofft durch seine Arbeit, irgendwann die Kommunikation mit Patienten zu ermöglichen, die am so genannten Locked-in-Syndrom leiden. Ein Mensch in diesem Zustand ist bei vollem Bewusstsein, jedoch durch eine Lähmung absolut unfähig, sich mit der Außenwelt zu verständigen. Auch mit Hilfe der neuen Forschung wird man die Gedanken solcher Patienten nicht lesen können. Aber in dem Augenblick, in dem sie sich bei einer einfachen Frage für ein Ja oder Nein entscheiden, könnte man die Antwort bestimmen und dadurch eine Kommunikation ermöglichen. Und damit die Patienten aus ihrem isolierten Zustand befreien. Sie könnten sich wieder mit der Außenwelt, ihren Familien und Freunden, aber auch mit Ärzten verständigen.

Im Gegensatz zu ähnlichen Experimenten mit Kernspintomographen, wäre diese Methode viel simpler und kostengünstiger realisierbar. Der tiefe Blick in die Augen hätte für diese Menschen eine ganz neue und grundlegende Bedeutung, für sie wäre es die einzige Kommunikationsmöglichkeit, der einzige Weg sich mitzuteilen.

Corinna Wilhelm

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