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Thema der Woche | 25. April 2013

Lärm lass nach

Bürgerinitiative Stadtautobahn B3a Marburg zur Kontroverse Stadtautobahn

Express: Lärm ist nicht nur lästig, er kann auch krank machen. Welche Auswirkungen hat Straßenverkehrslärm auf den Menschen?

Markus Gronostay: Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation besagt, dass Lärm die Europäer jedes Jahr mehr als 1 Million gesunder Lebensjahre kostet. Verkehrslärm beeinträchtigt die Gesundheit durch Lärmspitzen und stetige Belastung: selbst bei Menschen, die glauben ruhig durchzuschlafen, ist die Ausschüttung von Stresshormonen unter Lärmeinwirkung messbar. Die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sinkt; das Risiko für Folgeschäden, wie chronische Schlafstörungen, Tinnitus, Bluthochdruck, Herzinfarkt steigt. Es ergeben sich Konsequenzen beim Lüftungsverhalten, der Nutzung von Außen- und auch Innenräumen und ganz prinzipiell für die planerischen Vorhaben der Stadtgesellschaft.

Express: Die B3a/Stadtautobahn hat eine geradezu unheimliche Präsenz. Gibt es eigentlich einen Ort in Marburg, an dem sich die Stadtautobahn nicht bemerkbar macht?

Markus Gronostay: Nein – im eigentlichen Talkessel um die Achse der B3 wohl kaum. Der Schall breitet sich nach oben aus, so dass man die Dauerbeschallung gerade in den Höhenlagen z.B. am Ortenberg, aber auch in Wehrda und Cappel findet. Manche Häuser im Abstand nur weniger Meter zur B3 möchte man schon aus Sicherheitsgründen evakuieren. Äußere Stadtteile sind durch Zubringerverkehre betroffen, wie Ockershausen, Rotenberg, Marbach u.a.

Express: Wer steht hinter der Bürgerinitiative Stadtautobahn?

Anne Maximiliane Jäger-Gogoll: Die BI-Stadtautobahn ist ein Zusammenschluss von Marburger Bürgerinnen und Bürgern für eine bessere Wohn- und Aufenthaltsqualität in Marburg. Die meisten leben mit ihren Familien schon lange Zeit hier. Ihre Anliegen werden von einem breiten Spektrum der Parteien und Verbände unterstützt, wenn auch mit unterschiedlichen Lösungsansätzen.

Express: Zu Beginn der 1970er Jahre wurde die B3a als "Bauwerk von hohem Rang" gefeiert, heutzutage würde sie keine Genehmigung bekommen. War der Bau eine grundsätzliche Fehlentscheidung?

Markus Gronostay: Ja, allerorten werden Ortsumgehungen für durch Fernverkehr betroffene Ortschaften gefordert und nach Möglichkeit auch gebaut. Die kurzsichtigen Planungen der Vergangenheit verursachen heute immense Kosten. Gutachter sprachen sich schon damals für eine Untertunnelung aus. Die tatsächlichen Baukosten für die Hochstraße waren letztendlich höher als die veranschlagten Kosten eines Tunnels.
Die Idee einer innerstädtischen Verteilerschiene auf Bundeskosten hat einen entscheidenden Schönheitsfehler: es fehlt das Tempolimit einer Ortsdurchfahrt.

Express: Gibt es überhaupt eine umweltfreundliche Alternative zur Stadtautobahn?

Michael Weber: Die Stadtautobahn hat viel Durchgangsverkehr nach Marburg gebracht und somit das Verkehrsaufkommen erhöht. Da sie nun einmal da ist, erscheint es sinnvoll, die vorhandene Strecke weiterhin nutzbar zu halten, aber eben in einer Form, die einem das Leben in Marburg nicht zur Hölle macht.

Anne Maximiliane Jäger-Gogoll: Daher ist ein weiterer Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und umweltfreundlicher Mobilität sowohl innerstädtisch als auch zum Umland unverzichtbar. Eine Versorgungs- und Beschäftigungsstruktur der kurzen Wege ist immer dezentral. Das gilt natürlich auch für bundesweite Belange.

Express: Gibt es vergleichbare städtebauliche Situationen? Wie wird anderswo mit der Problematik umgegangen?

Michael Weber: Es gibt zahlreiche Städte, in denen Fernverbindungen mitten durch Wohngebiete gebaut wurden. Hochstraßen existieren noch einige, bei manchen ist der Abbau in Vorbereitung oder bereits vollendet. Details dazu wurden in Veranstaltungen der Bürgerinitiative Stadtautobahn vorgestellt.
Mit einem Stadtentwicklungsplan, in dem ein Tunnel zur Schaffung von neuem innerstädtischem Raum als zentrales städtebauliches Element steht, wäre es möglich, Fördergelder von Land, Bund und EU zu erhalten. Saarbrücken zeigt mit dem Projekt "Stadtmitte am Fluss", dass so etwas möglich ist.
Angesichts des Wohnraummangels in Marburg ist jetzt die Zeit reif, solch ein Projekt anzugehen. Marburg kann es sich nicht weiter leisten, den besten Teil seiner Fläche zu vergeuden.

Express: Welche kurz- und mittelfristigen Konzepte zur Minderung der derzeitigen Lärmbelästigung sind denkbar? Und wie sind die Verantwortlichkeiten geregelt?

Markus Gronostay: Lärmschutz an der Quelle, wie Temporeduktion und echter Flüsterasphalt, hilft dem gesamten Stadtgebiet und ist daher auch kostenseitig die erste Wahl. Ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Begrenzung auf 80/60 km/h für PKW/LKW besteht seit 1998, jedoch wurde in der Folge der Stadt die Zuständigkeit für die B3 entzogen. Nach dem RP in Gießen liegt diese nun alleine in Wiesbaden. Lärmschutzwände bedürfen in Bezug auf das Reflexionsverhalten und das Stadtbild genauer Untersuchung.

Express: Marburg und die Philipps-Universität wollen auf die Welterbeliste der UNESCO. Hat die BI Stadtautobahn auch eine Vision fürs Jahr 2025?

Anne Maximiliane Jäger-Gogoll: Ja – die Bürgerinitiative möchte eine Vision als Handlungsdirektive für Marburg entwickeln: als Modell lebensfreundlicher, ökologischer und nachhaltiger städtischer Lebens- und Verkehrsformen. Dazu gehört vor allem, dass der städtische Raum für alle Bürgerinnen und Bürger als ein Ort mit guter Lebens-, Aufenthalts-, aber auch Mobilitätsqualität, insbesondere für ältere Menschen, für Kinder und für Behinderte zurückgewonnen wird. Erst mit dieser kulturellen Leistung hätte Marburg einen Platz auf der Welterbeliste verdient – schön sein alleine reicht nicht!

Michael Weber: So hätten wir nichts dagegen, wenn im Jahr 2025 die B3a von Gisselberg bis Cölbe unter der Erde verläuft und über ihr neues, hochwertiges Bauland entstanden ist, das in Form attraktiver Wohngebiete genutzt wird. Auch die Lahnauen werden dann endlich das sein, was sie sein könnten.

Tag gegen Lärm
Informationsstand und Plakataktion der Bürgerinitiative Stadtautobahn B3a Marburg
Sa 27.4. 10.00, Uferstraße (Uferkirche)
Stadtautobahn
Mit rasant ansteigenden KFZ-Zulassungen stieg in den 1960er und frühen 1970er Jahren die Zahl der Autos auf Marburgs Straßen. Die Stadtautobahn sollte aus "Marburg an der Schranke" eine zügig durchfahrbare Stadt machen. 1964 entstand daraufhin als erstes die Brücke am Bahnübergang an der Neuen Kasseler Straße, ein "Festgeschenk zu Weihnachten" für die Bürger der Stadt, titelte die Presse damals. 1968 stellte man die Fußgängerunterführung am Krummbogen fertig, im gleichen Jahr den Erlenring und die Kurt-Schuhmacher-Brücke. Einige Gebäude mussten weichen und der Friedhof bei St. Jost verkleinert werden. Die Verbindung Zeppelinstraße/Gisselberger Straße mit der Konrad-Adenauer-Brücke wurde als nächstes umgesetzt. 1973 wurde die Südspange der B3a für den Verkehr freigegeben, 1974 der als "Hochstraße" bezeichnete Streckenabschnitt, vorbei an Bahnhof und Krummbogen, fertiggestellt. Ein "Bauwerk von hohem Rang", freute sich der damalige Hessische Minister für Industrie und Technik Heinz Herbert Karry über die Investition, die den Verkehr geradezu anzog. 1992 wurde die Autobahnbrücke am Bahnhof nach gerade 18 Jahren aufwändig und für 2,7 Millionen Mark überholt, für eine Million bekam die triste Brücke eine Coloration verpasst.
Anlass für Auseinandersetzungen war die Stadtautobahn seit Beginn, ob es um Tempolimits oder Baumaßnahmen geht.
MV

Interview: Michael Arlt

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