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Thema der Woche | 25. Februar 2016

"Die am lautesten schreien"

Politikwissenschaftler Becker über Rezepte gegen Rechtspopulismus

Express: Die rechtspopulistische AfD liegt in den Umfragen bundesweit bei über 10 Prozent. Wie kommt das?

Reiner Becker: In den meisten Nationalparlamenten der EU-Staaten sitzen Rechtspopulisten oder auch rechtsextreme Parteien. Das ist in Deutschland bisher nicht der Fall gewesen. Ein Wählerpotenzial für eine rechtspopulistisch oder auch rechtsextreme Partei gibt es in Deutschland aber schon lange. Das messen wir über die verschiedensten Umfragen schon seit Anfang der 80er Jahre. Seit Anfang der 80er wissen wir von einer enormen Skepsis einiger Bürger gegenüber "denen da oben", gegenüber der repräsentativen Demokratie und ihren Vertretern. Wir wissen auch von einer verbreiteten Vorurteilskultur in diesem Land.

Bei der derzeitigen gesellschaftspolitischen Großwetterlage mit der Flüchtlings­katastrophe als Toppthema findet dieses abstrakte Wählerpotenzial zunehmend eine Bindung.

Express: Wie können die anderen Parteien die Parolen der Rechtspopulisten entkräften?

Becker: Die Themen, die die AfD oder auch andere rechtspopulistische Gruppen aufgreifen, bewegen viele Menschen und man kann nicht einfach mit einer schwarz-weiß-Arithmetik dagegenhalten. Ein Beispiel: Es war meiner Meinung nach kein gutes Zeichen, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Wahlkampf von Rheinland-Pfalz sich nicht zusammen mit einem AfD-Vertreter in eine Talkrunde setzen wollte.

Man muss sich mit den Inhalten der AfD auseinandersetzen. Man muss mit Argumenten um die Wähler ringen.

Express: Wie lang wird der Höhenflug der AfD anhalten?

Becker: Ich denke, diese Partei hat eine Chance, sich zu etablieren. Weil sie mit ihrem Rechtspopulismus ein viel größeres Wählerpotenzial bindet, als es die rechtsextreme NPD zum Beispiel je gekonnt hätte.

Aber sie wird in den Parlamenten liefern müssen. Und deshalb kommt es auf die parlamentarische Praxis an. Da ist dann die Chance für die anderen Parteien, die AfD zu stellen. Das ist das normale politische Geschäft. Damit, dass man die AfD auszugrenzen versucht, wird man sie nicht bekämpfen können.

Express: Warum hat die AfD aus Ihrer Sicht ein größeres Wählerpotenzial als die NPD?

Becker: Die AfD profitiert von den Bewegungen der anderen Parteien. Der Bewegung der CDU beispielsweise in die politische Mitte. Eine angestammte rechts­konservative Wählerschaft findet sich immer weniger in der CDU wieder. Insbesondere in der jetzigen Situation, bei der Aufnahme von Flüchtlingen, bei der sich nicht mal die Koalition einig ist.

Die CDU macht im Grunde eine Erfahrung, die die SPD in jüngerer Zeit schon zweimal gemacht hat: mit den Grünen in den 80er Jahren und mit der Linkspartei in den 2000er Jahren.

Die AfD schafft es, sowohl Nichtwähler an sich zu binden, als auch Rechts­konservative, die bisher bei der CDU zuhause waren. Und sie fischt mit ihren rechtspopulistischen Forderungen auch am rechten Rand, bei rechtsextremen Wählerklientel.

Das erklärt vielleicht auch das Gebaren eines Herrn Seehofer, der der Kanzlerin etwa mit der Forderung nach Obergrenzen Druck machen will. Bei den Wählern wird ihm sein Populismus aber vermutlich wenig bringen. Die Leute, die in diese Richtung tendieren, wählen dann lieber doch das Original – und das ist nicht Seehofers CSU sondern die AfD.

Express: Einerseits Willkommenskultur andererseits Fremdenhass. Woher kommt diese Polarisierung der Gesellschaft?

Becker: Diese Polarisierung gibt es, weil es im Moment keine einfachen Antworten auf die politischen Herausforderungen gibt – und keine einfachen Lösungen. Die Menschen sind konfrontiert mit globalen Problemen, einer ständig wechselnden Nachrichtenlage und einer enormen Suchbewegung der politisch Verantwortlichen. Es fehlt ein Stück weit die Orientierung für viele die Ängste, Fragen und Sorgen haben.

In so einer unübersichtlichen Situation achten einige nur auf die Populisten, die in den Medien am lautesten schreien und vermeintlich einfache Antworten bieten.

Die Leisen, die Menschen mit den differenzierten Argumenten, die nehmen viele nicht wahr. Das sind aber die Leute, die wir in unserer Arbeit wahrnehmen: die Leute, die sich in jedem hessischen Dorf engagieren, die z.B. Flüchtlingsarbeit ehrenamtlich machen, oder die Menschen, die einfach offen dafür sind, wenn in einem Dorf 15 bis 20 Flüchtlinge untergebracht werden.

Den letzten ARD-Deutschlandtrend fand ich in dieser Hinsicht sehr erhellend: Auf der einen Seite nimmt die Kritik an der Bewältigung der Flüchtlingskrise durch die Bundesregierung weiter zu. Auf der anderen Seite finden es 94 Prozent der Befragten richtig, dass Deutschland Menschen aufnimmt, die vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen.

Zur Person
Dr. Reiner Becker ist Leiter des Demokratiezentrums Hessen am Institut für Erziehungswissenschaft der Marburger Philipps-Universität. Das Zentrum entwickelt Präventionsangebote und Interventionsformen gegen Rechts­extremismus.
Das vom Demokratiezentrum geleitete "beratungsNetzwerk hessen", berät Schulen, Eltern und Familienangehörige, Kommunen oder auch Vereine nach Vor­komm­nissen mit einem rechtsextremen, antisemitischen oder rassistischen Hintergrund.

Interview: Georg Kronenberg

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