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Thema der Woche | 16. März 2017

Radelnde Politiker gesucht

Enge Gassen sind kein Grund für schlechtes Klima – Foto: Kronenberg

Marburg und Tübingen sind sich so ähnlich, dass sie vor Jahren gemeinsam als Prototyp einer Universitätsstadt zum Weltkulturerbe werden wollten: Beide Städte haben gut 50.000 Einwohner im Zentrum, eine jahrhundertealte protestantische Universität und eine enge Altstadt mit einem Schloss auf dem Berg. In beiden Kommunen studiert jeder dritte Einwohner, die Grünen sind traditionell stark und die Topographie ist bergig.

Es gibt allerdings – neben dem schwäbischen Dialekt – einen gravierenden Unterschied: In Tübingen fahren zwischen 18 und 23 Prozent der Bürger Fahrrad, in Marburg sind es gerade einmal neun Prozent. Beim bundesweiten Fahrradklimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC landete Tübingen auf Platz eins vergleichbarer Städte in Baden-Württemberg und auf Platz sechs (von 100) bundesweit. Dagegen lag Marburg bundesweit auf Rang 87 von 100, also in den untersten 13 Prozent der vergleichbaren Städte. In Schulnoten ausgedrückt erhielt die Universitätsstadt eine vier minus. Innerhalb Hessens kam nur Bad Homburg noch schlechter weg.

Woran liegt das? Nach Überzeugung von Wolfgang Schuch, dem Sprecher des Marburger ADFC, hängt dies nicht an einzelnen Großprojekten. "Beim Klima für Radfahrer geht es oft um Kleinigkeiten", sagt der Experte. Falsche Mark­ier­ungen, hohe Bordsteine oder unklare Wegeführungen gehörten dazu. So warte der zur Altstadt gewandte Radweg an der Lahn seit fünf Jahren auf eine aus­reichende Beleuchtung. Ob solche "Kleinigkeiten" wahrgenommen und ver­ändert werden, hängt nach Schuchs Überzeugung davon ab, ob es an der Spitze der Politik, der Stadt­ver­waltung oder der örtlichen Medien Menschen gibt, die im Alltag Rad fahren.

Betrachtet man Tübingen, scheint die These zu stimmen: Als Boris Palmer 2006 zum ersten grünen Oberbürgermeister Tübingens gewählt wurde, schaffte er als eine seiner ersten Amtshandlungen den Dienstwagen ab. Er ist seitdem fast nur noch mit dem Rad beziehungsweise dem Pedelec und dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Das gleiche gilt für einen Großteil der Amtsleiter und der Führungskräfte in der Neckarstadt, berichtet Tübingens Verkehrs­planer Mirco Sarcoli. Dadurch seien sie sensibler für diese Themen. Und in der Stadt­ver­waltung fällt schnell auf, wenn es Schwachstellen gibt. 2012 und 2013 war Tübingen Modellkommune der Radkultur Baden-Württembergs. 2015 wurde Boris Palmer als "fahrradfreundlichste Persönlichkeit" des Jahres ausgezeichnet.

Dagegen gibt es nach Schuchs Beobachtungen unter den Oberbürgermeistern und Stadträten Marburgs seit Jahren niemanden, der das Rad als alltägliches Verkehrs­mittel benutzt. Positiver sehe es neuerdings im Landkreis aus, wo die Zweiradpolitik mit der neuen Landrätin Kirsten Fründt an Fahrt aufgenommen habe. Die Sozialdemokratin fährt täglich mit dem Rad zur Arbeit. In Gießen, wo Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) zu Terminen radelt, fällt auch der Fahrradklimatest wesentlich besser aus. Die Nachbarstadt erreicht Platz 42 von 100 und hat sich seit 2012 deutlich verbessert.

In Tübingen hat das Radeln allerdings eine lange Tradition. Ende der 70er Jahre gründete sich eine Bürgerinitiative zur Förderung des Radverkehrs. In den 80er Jahren gab es bereits eine Radverkehrskonzeption. Da die Straßenräume Tübingens ebenso eng wie in Marburg sind, fehlt allerdings auch am Neckar ein zusammenhängendes Radwegenetz. Es gibt auch keinen Rad­ver­kehrs­be­auf­tragten. Die Radler werden aber überall mitberücksichtigt und mitbedacht – ebenso wie die Fußgänger und die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs, den die Studierenden mit dem Semesterticket nutzen können. Zudem werden durch­schnitt­lich 400.000 Euro jährlich für Radstreifen, Fahrradstraßen oder kleine Brücken ausgegeben. Dass die Grünen seit 2004 stärkste Fraktion im Tübinger Rat sind, ist dabei hilfreich. Aber auch in Marburg gab es mehr 20 Jahre lang eine rot-grüne Koalition.

Marburgs grüner Bürgermeister Franz Kahle fährt angesichts seines Wohnortes am Richtsberg lieber mit dem Bus. Er gibt zu Bedenken, dass viele Marburger Verkehrswege in den 70er Jahren "sehr autogerecht" eingerichtet worden seien. Die neue Aufteilung der Straßenräume sei in einer Stadt wie Marburg "schon ein Kraftakt". Aber jedes Jahr würden ein bis zwei Radwegeprojekte umgesetzt. Vieles, wie etwa die weiteren Radwege in der Nordstadt, liege noch in der Schub­lade. Daher ist er überzeugt: "Angesichts der Topographie haben wir eine sehr gute Ausstattung mit Radwegen." Zudem sind die Verbesserungen aus den vergangenen zwei Jahren noch nicht in den Klimatest eingeflossen. Möglicher­weise falle die nächste Umfrage bereits besser aus.

Es gibt aber noch ein Problem, das typisch für Marburg ist: Die Stimmung zwischen Radlern und Autofahrern scheint besonders schlecht zu sein. "Das kommt aber nicht aus der Stadtverwaltung", betont Kahle. Da gebe es einen Konflikt, der in Leserbriefen und im Internet deutlich werde. In Tübingen da­ge­gen wird die Radpolitik im Prinzip auch von der CDU getragen, so Verkehrs­planer Sarcoli. Schließlich müsse man bedenken: "Wenn nicht so viele Menschen Rad fahren würden, wären die Parkplätze noch voller und wir hätten viel mehr Stau", sagt der Tübinger.

Das weiß natürlich auch Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD), der zeitweise mit dem Rad unterwegs war, sonst aber eher zu Fuß geht. Er setzt auf den Radwegeplan, der im Mai beschlossen werden soll: "Wir müssen das Fahr­rad als Verkehrsmittel gleichberechtigt mitdenken", sagt der Sozial­demo­krat. Er plädiert für "Bicycle-Mainstreaming", also eine Strategie zur Gleichstellung der Fahrradfahrer.

Gesa Coordes

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