Express Online: Editorial | 28. April 2005

Gefahr

Der Mai ist gekommen, und die Natur schlägt zurück. Nicht nur die sprichwörtlichen Bäume des Volksliedes. Auch sonst fährt die Flora so manches schwere Geschütz auf. Ich denke da nur an den kaukasischen Riesenbärenklau. Dieser legionenweise auftretende ungeschlachte Grünkerl ist berüchtigt für die phototoxische Wirkung seiner Säfte, sprich Sonne + Saft + nackte menschliche Haut = schmerzhafte, verbrennungsartige Rötungen und Blasenbildungen. Apropos Saft: Es tut so, als könne es kein Wässerchen trüben, aber das gemeine Maiglöckchen, resp. sein Duft, besitzt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf – menschliche Spermien. Ein höchst aggressives Arrangement, dessen Konsequenzen zu beschreiben der Anstand verbietet. Apropos Blasen: Als wäre beides nicht genug, ächzt der Mensch im Mai unter der Tyrannis von Heerscharen blässlicher Spargel-Lemuren und deren fatalem Einfluss auf flüssige Stoffwechsel-Endprodukte.

Da nimmt es sich fast wie ein kleines Wunder aus, dass ausgerechnet das zweifelhafte Reich der Insekten einen möglichen Verbündeten ins Feld führt: Räupchen des Kleinen Frostspanners (Operophtera brumata). Die vermehren sich z.Zt. wie die Fliegen und fressen alles weg, was ihnen zwischen die Kiefer kommt. Leider, leider noch das falsche, nämlich Knospen und Blätter von Laub- und Obstgehölzen. Aber vielleicht gelingt es der Wissenschaft eines Tages, die Kerbtiere auf Riesenbärenklau, Maiglöckchen und Spargel umzupolen? Der Mai jedenfalls würde einiges von seinem Schrecken verlieren.

Michael Arlt



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