Express Online: Editorial | 8. September 2005

Wahlprognosen

Meinungsmache oder Meinungsforschung? Deutschlands Demoskopen stecken in der Krise. Nie wurden ihre Ergebnisse dankbarer von einem Publikum nachgefragt, als es derzeit im Bundestagswahlkampf der Fall ist. Dennoch ist die Kritik an der Wahlforschung vielstimmig. Bundestagspräsident Thierse möchte dem französischen Beispiel folgen und Wahlumfragen im Vorfeld von Wahlen möglichst ganz verbieten, da sie zu stark Meinungsmache statt Meinungsforschung sind. Die Kritik ist oft berechtigt, da viele Institute nur die halbe Wahrheit sagen und die nötige Transparenz ihrer Methoden vermissen lassen.

Dabei gibt es klare Qualitätskriterien für Umfragen. Ein zentrales Qualitätskriterium liegt in der Auswahl der Befragten. Alle Umfragen, die auf dem TED-Prinzip basieren, sind grundsätzlich nicht repräsentativ und häufig sogar unseriös. Die Auswahl erfolgt über Selbstselektion. Vor allem die Unzufriedenen melden sich zu Wort. Zudem haben eine Vielzahl von TED-Umfragen gezeigt, dass das Ergebnis durch massive Telefonanrufe aus den Parteizentralen und Staatskanzleien verfälscht wird.

Diese Fehler machen die großen Umfrageinstitute wie Infratest dimap, Forsa Emnid und Allensbach nicht. Dennoch mangelt es ihnen vielfach an der nötigen Transparenz. So werden oft mit der parteiischen Schere im Kopf nur bestimmte Umfrageergebnisse publiziert. Einige Umfrageinstitute scheinen gerne zu vergessen darauf hinzuweisen, dass oft nahezu die Hälfte der Wähler noch in der Woche vor der Wahl unentschlossen ist.

Für den Wahlforscher ist es immer wieder überraschend, dass die alten Wahlergebnisse oft die beste Prognose sind, da die politischen Lager über einen längeren Zeitraum weitgehend stabil bleiben. Im heimischen Wahlkreis ist dabei historisch ein Fotofinish sowohl bei den Direktkandidaten-Erststimme als auch bei der Parteien-Zweitstimme angesagt.

Norbert Kersting



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