Express Online: Thema der Woche | 26. Mai 2005

Harte Memmen, zarte Killer

In Stefan Balzters und Martin Gärtners Programm "Der Kragen des Molches" hat sich keineswegs "die Muse verpieselt".

Eher hat sie die beiden heftig abgeknutscht. Gleiches wäre auch fast dem begeisterten Publikum zuzutrauen gewesen, das nach der Vorstellung in der Marburger Waggonhalle die Bühne stürmte, alle Requisiten inspizierte und sogar noch ein Trinkgeld im Kondomautomaten hinterließ: "Der funktioniert ja gar nicht!" Das Bühnenbild war einfach zu verlockend: 80er-Jahre-Autobahnklo-Atmosphäre, sparsam aber wirkungsvoll.

In diesem kühlen, miefig-intimen Ambiente kommen zwei sehr unterschiedliche Männer ins Gespräch, während sie (Achtung, ihr metaphorisch Minderbemittelten:) "den Molch rausholen, ihn am Kragen packen und -" den Reimen auf ihre Männlichkeit freien Lauf lassen. Denn nicht nur die Lieder, sondern auch Dialoge und Überleitungen sind gereimt. Kaum zu überhören, dass Stefan Balzter einen großen Teil seines Handwerks bei der "Titanic" gelernt hat.

Darum: keine Angst vor Peinlichkeiten, liebes Publikum, denn die sind hier Absicht und werden immer konterkariert von der nächsten Pointe, vom Schlagabtausch der beiden Männer, die ihr jeweiliges Selbstbild mal überlegen, mal trotzig, mal hilflos und rührselig verteidigen. So schmalzt sich Balzter als seelenvoller Romantiker à la Reinhard Mey in den "Rhythmus zweier Herzen", während Gärtners Schlips-und-Kragen-Pragmatiker genüßlich den Beipackzettel einer Kondompackung verliest. Und der melancholische Septembertag an der See, an dem man – untermalt von "friesischen Terzinen" – am liebsten "ins Weite fallen möchte", endet mit der Erkenntnis, dass man vor lauter landschaftsbedingter Ergriffenheit ganz das Rauchen und Saufen vergessen hat.

Wir bekommen Einblicke in Ehekriege, in die Angst des Mannes vor der Seniorenzeit, in die einsame Künstlerseele "wenn das Schaffen kriselt" (Reim s.o.) und sogar ins heimliche Tête-à-tête mit "fiktiven Frauen" – der ein oder andere Lacher über Jungs-Scherze sei uns und dem Duo dabei verziehen ... Wenn in der Abteilung "prahlende Väter" allerdings ein Wiegenlied für eine Missgeburt mit drei Köpfen, Borsten und "blutendem Hasenlauf" erklingt, wird die Satire auch mal grenzwertig. Aber solche Ausrutscher sind rar.

Auf der musikalischen Seite des Programms ergänzen sich Gärtners temperamentvoller Tenor und seine schauspielerische Sicherheit hervorragend mit Balzters Figur des poetisch-pathetischen Barden. Stilsichere Eigenkompositionen unterschiedlicher Genres wechseln sich mit Persiflagen ab, etwa wenn sich "You give me fever" auf Ärger mit einer hartnäckig juckenden Geschlechtskrankheit bezieht oder wenn der "Cabaret"-Song "Willkommen, bienvenue, welcome" einen bizarren Einblick ins Damenklo einleitet. Phantasie zeigt sich ebenso am Gerät: Neben den beiden Hauptinstrumenten E-Piano (Gärtner) und Gitarre (Balzter) kommt u.a. auch ein zum Didgeridoo umfunktioniertes Abflussrohr zum Einsatz.

In Gießen war das vom Stadttheater produzierte und von Regisseur Oliver Meyer-Ellendt gagreich inszenierte Programm seit Oktober bereits achtmal zu sehen, während es in Marburg in der vergangenen Woche leider erst zum zweiten Mal gastierte. Freuen wir uns also auf den nächsten "Molch"-Abend, an dem wir vollstes Verständnis aufbringen, wenn sie ihn verlässt, weil er das Reimen nicht lassen kann: "Sie: Ja, gib's mir, sag mir schlimme Worte! – Er: Borte, Pforte, Sahnetorte."

Ulrike Rohde



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