Express Online: Thema der Woche | 2. Juni 2005

Bühne der Vokal-Akrobaten

Auch in diesem Jahr bot die "Nacht der Stimmen" mal wieder jede Menge musikalische Abwechslung

Hellblauer Himmel, Temperaturen bis 30 Grad und ekstatische Massen, die ihre Stars frenetisch feiern – was sich anhört wie eine verklärte Woodstock-Erinnerung, fand auf der Schlossparkbühne statt. Hier gaben sich bei der 13. "Nacht der Stimmen", die wie üblich vom KFZ veranstaltet wurde, drei A-Cappella-Bands und ein Solo-Künstler die Klinke in die Hand.

Den Anfang machten die Marburger Dr. Chick & the Worsemen. Ein Quintett, das bei seinem ersten Live-Auftritt einen Parforce-Ritt quer durch die Pop- und Rock-Geschichte bot. Von Elvis, den Beatles und Beach Boy Brian Wilson über The Who und The Mamas & The Papas bis Chicago und Nirvana – hier feierten fünf hoffnungsvolle Nachwuchs-Lokalmatadore in einer Stunde 50 Jahre Musikgeschichte ab. Dabei legen die zwei Damen und drei Herren Wert darauf, dass sie nicht einfach 1:1 covern, sondern die Stücke durch eigene Arrangements verfremden, entschleunigen und dadurch im wahrsten Sinne des Wortes "mundgerecht" aufbereiten.

In diesem Sinne machte auch Rudi Neuwirth weiter. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass der Berliner lediglich ein Mehrspur-Aufnahmegerät brauchte, um seine Show durchzuziehen. Das "Orchester auf zwei Beinen" (Neuwirth über Neuwirth) nahm live vor den Ohren seines Publikums Spur für Spur seine Stimme auf und imitierte so feurige Salsa-Orchester, zünftige bayrische Blaskapellen, coole Jazzbands und afrikanische Marktplatz-Szenen. Das brachte ihm schon diverse Auftritte bei Gala-Konzerten, Kleinkunst-Abenden und Comedy-Shows sowie ein "I'm really impressed" von Ex-Rolling-Stones-Bassist Bill Wyman ein. Auch die Marburgerinnen und Marburger fanden's toll. Lediglich der Chronist blieb angesichts des ziemlich schrägen und skurrilen Humors etwas ratlos zurück.

Auch der anschließende Auftritt des georgischen Antschis-Chati-Quartetts vermochte dies vorerst nicht zu ändern. Wer aber ein Faible für osteuropäische Choräle hat, der kam hier voll und ganz auf seine Kosten. Die vier Künstler sind normalerweise Mitglieder eines 25-köpfigen Kirchenchores, der allerdings aus Kostengründen größtenteils zu Hause bleiben musste. Doch auch ohne ihre Kollegen lieferten die Vier eine beeindruckende Kostprobe der Musik ihrer Heimat, die aufgrund ihrer Komplexität und Polyphonie als einzige Musikkultur der Welt von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Der Chor, der sich 1989 gründete, um den Klang der georgischen Musik wiederzubeleben, benannte sich nach der ältesten Kirche des Landes und hat mittlerweile über 200 Hymnen und Lieder im Repertoire.

Als Headliner traten zu guter Letzt Montezuma's Revenge aus Holland auf. Nun konnten auch mehrere leicht angeheiterte Damen aus der hintersten Sitzreihe nicht mehr an sich halten: Wer dermaßen stimmgewaltig Robbie Williams, Prince, George Michael und die Jackson 5 covert, der muss natürlich so laut wie möglich unterstützt werden, so vermutlich das Kalkül der fröhlichen Frauentruppe. Der Rest des Publikums sah's genauso. Zumal es die Niederländer verstanden, ihre Zuschauerinnen und Zuschauer virtuos in die Bühnenshow einzubeziehen und so eine unglaublich ausgelassene Atmosphäre unter dem Marburger Sternenhimmel zu erzeugen. Wer danach nicht beschwingt und gutgelaunt nach Hause fuhr, dem konnten wohl nur noch die Powerfrauen aus der letzten Reihe helfen.

Savo Ivanic


Express Online: Thema der Woche | 2. Juni 2005

Unendliche Welten

Im Margarete Bieber-Saal ging die "Steinerei 2005", das erste deutsche LEGO-Film-Festival über die Bühne. Beiträge zwischen Historie und Science Fiction traten an und stellten das große Repertoire der "Brickfilmer" unter Beweis – Keine leichte Aufgabe für die Jury

Dass Spielzeug eindeutig mehr sein kann als nur das materielle Gut der Kindheit, stellt nicht nur die Sammelleidenschaft manches Puppenliebhabers oder Eisenbahntüftlers unter Beweis. Hierzulande wie international hat sich schon seit langem eine Szene entwickelt, die mit Spielzeug, genauer Legofiguren aller Art, Filme machen: Die so genannten Brickfilmer. Ihr erstes deutschlandweites Festival samt Wettbewerb bekamen die Bricker mit der "Steinerei 2005" jetzt in Gießen im Margarete-Bieber-Saal.

Damit diese Filme auch ein Publikum bekommen", sagte Medienwissenschaftler und Organisator Mathias Mertens in seiner Eröffnungsrede "dafür soll dieses Festival dienen". In Zusammenarbeit mit www.Brickboard.de , dem Forum deutscher Brickfilmer, ist so das erste Brickfilm-Festival deutschsprachiger Regisseure entstanden. Das Zentrum für Medien und Interaktivität der Uni (ZMI) sprang passenderweise auch gleich auf den Zug der Unterstützung auf.

Geschichtlich betrachtet, existieren Brickfilme bzw. Stop-Motion-Animationsfilme mit Lego bereits seit über 15 Jahren. Namentlich haben sich Andy Boyer und Dave Lennie hervorgetan, die schon 1989 den Film "Oh Well" produzierten. Heute machen das Internet und einfache Software wie Schnittprogramme eines fast jeden zeitgemäßen Computer-Betriebssystems die Szene größer und interaktiver. Ein Vorteil in der Produktion dieser unendlichen Welten aus Spielzeug ist sicherlich, dass man schnell und einfach mit der Regiearbeit beginnen kann. So transportierte es jedenfalls das Fachlatein der Anwesenden immer wieder zwischendurch.

Als sich dann bei strahlendem Sonnenschein und hohen Temperaturen die hochkarätige Jury aus Michael Althen (Filmkritiker der FAZ), Karin Wehn (Internetanimationsexpertin von der Uni Leipzig) und Sven Stillich (Mulitmedia-Redakteur des Stern) im Margarete-Bieber-Saal eingefunden hatte, lief als erster Beitrag der Stop-Motion-Lego-Animationsfilm "Out of time" des Regisseurs Buxton: Ein Gespräch unter zwei Männern über einen Sonntagsspaziergang, der plötzlich von Fremden aus einer fernen Zukunft unterbrochen wird. Die amüsante Begegnung der ungewöhnlichen Art inmitten von Lego-Land entpuppt sich dann schnell als tiefsinnige Reflexion über unsere steten Erwartungen an Zukunft und Innovation.

Thematisch kein Einzelfall, im Wettbewerb der "Steinerei 2005" hatten trotz der Schauspieler aus dem Kinderzimmer fast ausschließlich nur ernste Themen Platz. Die Gewinner des Festivals, der sechszehnjährige Cornelius Koch und der ebenso alte Theodor Becker aus Falkensee bei Berlin, zeigten in ihrem Film "Der Auftrag" eine überraschend ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Damit dürfte wohl die gesamte Animations- und Trickfilmszene ihr Augenmerk bald noch stärker auf die Lego-Regisseure richten. So jedenfalls wird die Vielfalt der Genres gewährleistet und erweitert und, wohl ganz im Sinne von Organisator Mertens, ein immer größer werdendes Publikum auf diese Art von Filmen aufmerksam.

Rüdiger Oberschür



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