Express Online: Thema der Woche | 7. Juli 2005

Eigene Wege

Seit dem 1. Juli regiert Egon Vaupel (SPD) als neuer Oberbürgermeister die Stadt Marburg.

Der 54-Jährige Vaupel stützt sich auf eine rot-grüne Mehrheit im Stadtparlament und kämpft gegen die Privatisierung der Uni-Kliniken. Er will ein Tempolimit auf der Marburger Stadtautobahn und eine sozialdemokratischere Politik im Bund. Vaupel löst Dietrich Möller (CDU) ab, der 12 Jahre die Geschicke der Stadt leitete.

Express: Herr Vaupel, was werden Sie anders machen als Dietrich Möller?
Vaupel: (lacht) Ich werde das Rad nicht neu erfinden können. Ich hoffe, dass ich mir in manchen Situationen auch im Amt des Oberbürgermeisters eine größere Lockerheit bewahren kann. Für mich ist es wichtig, so viele Menschen wie möglich in Politik mit einzubeziehen. Und ich werde – wenn Sie den ganz deutlichen Unterschied zwischen Möller und mir hören wollen – Tempo 80 für Pkw und Tempo 60 für Lkw auf der Stadtautobahn umsetzen. Das hat zwei Gründe: Erstens will ich nicht, dass die Autobahn durch Marburg Umfahrung für die Mautstrecken wird. Zweitens wird es für die Zukunft in den Städten noch viel wichtiger sein, dass man eine hohe Lebensqualität hat. Und dabei hilft uns ein Tempolimit ganz entscheidend.

Express: Die Zusammenlegung der Uni-Kliniken ist zur Zeit das große Thema in Marburg. Die Landesregierung hat die Privatisierung beschlossen. Die Stadt – vor allem SPD, Grüne und PDS – ist dagegen. Sehen Sie noch eine Chance, die Privatisierung zu verhindern?
Vaupel: Man muss deutlich machen, welche Gefahren in einem Verkauf stecken. Da werde ich genau die Linie von Oberbürgermeister Möller weiterfahren, der bei der Anhörung im Landtag sehr deutlich gemacht hat, dass ein Verkauf auch Risiken in sich birgt.

Express: Welche Risiken?
Vaupel: Ein privatwirtschaftlich orientierter Betreiber wird natürlich auf Gewinnmaximierung aus sein. Das kann eine Gefahr für die Arbeitsplätze darstellen, auch wenn es eine Arbeitsplatzgarantie bis 2010 gibt. Viele Arbeitsverhältnisse im Uni-Klinikum sind befristet. Der Erhalt der Tarife ist ein ganz wichtiges Thema, ebenso das Zusammenspiel von Forschung und Lehre. Diese Themen werden wir immer wieder auf die Tagesordnung setzen.
Die Entwicklung der Universität auch über das Klinikum hinaus ist natürlich das wichtigste Thema für die Stadt Marburg. Mir ist es ganz wichtig, die Zusammenarbeit zwischen Universität und Stadt noch viel stärker zu intensivieren als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir wollen dieZusammenarbeit institutionalisieren – damit wir zum Beispiel bei den Liegenschaften von Anfang an zusammenarbeiten.

Express: Sie sind Nichtakademiker in einer Universitätsstadt. Finden Sie es schwierig, sich in die Uni-Welt hineinzudenken?
Vaupel: Ich bin lernfähig, neugierig und interessiert. Ich finde es immer wieder spannend, ganz neue Bereiche zu entdecken. Wichtig ist, dass man viele Gespräche führt und dass man offen ist.

Express: Möller hatte ja den größten Ärger innerhalb seiner eigenen Partei. Wird Ihre Rolle jetzt schwieriger durch das Amt des Oberbürgermeisters?
Vaupel: Ach, ich bin ein optimistischer Mensch. Ich hoffe, dass ich auch meine Partei von den Notwendigkeiten des Amtes überzeugen kann. Natürlich kann der Dialog zwischen Oberbürgermeister und Parlament immer auch konfliktbehaftet sein – gerade auch mit der eigenen Partei. Man kann und darf als Oberbürgermeister keine Parteipolitik machen.

Express: Gibt es Bereiche, in denen Sie Ihrem Vorgänger nacheifern wollen?
Vaupel: Ich denke, ich habe in den letzten Jahren viel von Herrn Möller gelernt. Aber man muss sich seine eigenen Wege für die Zukunft suchen. Wenn man versucht, in irgendwelche Fußstapfen zu treten, bekommt einem das sowieso nicht gut. Dazu sind wir viel zu unterschiedlich. Sicher ist aber, dass ich beispielsweise der Wirtschaftsförderung, die Herr Möller als seine Herzensangelegenheit betrachtet hat, genau die gleiche Priorität zumessen werde, die ich meinen früheren Ämtern zugemessen habe.

Express: Was werden Sie im Oberbürgermeisterzimmer verändern?
Vaupel: Ich werde das Bild der Elisabethkirche mitnehmen. Die Heilige Elisabeth hat auch eine politische Symbolik, wie man eine Stadt gestalten sollte für die Zukunft. Ich muss meinen Schalke-Wimpel irgendwo unterbringen. Auf den werde ich nicht verzichten. Ich werde Willy Brandt mit seinem Spruch mitnehmen. Der heißt: "Es hat keinen Sinn eine Mehrheit für die Sozialdemokratie zu gewinnen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein."

Express: Wie sehen Sie Bundespolitik angesichts von Brandts Worten?
Vaupel: Ich bin sehr verwundert über die Bundespolitik. Wenn ich sage verwundert, dann drücke ich das sehr vorsichtig aus. Zum einen über das Handwerkliche – wie man Politik nach draußen darstellt und wie man überzeugt. Und wenn man während der Regierungszeit die Vermögenssteuer nicht eingeführt hat, wie will man den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf verkaufen, dass es eine Steuer für Besserverdiener geben soll? Mit der Vermögenssteuer hätte man sozialdemokratische Politik deutlicher verkaufen können.

Express: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 7. Juli 2005

Fusion mit Folgen

Interessenten
Nach der Fusion am 1. Juli sollen die Universitätskrankenhäuser, die jährlich Erträge von 575 Millionen Euro erwirtschaften und insgesamt etwa 2300 Betten haben, am 1. Januar 2006 an einen privaten Betreiber übergeben werden. Im Herbst sollen die Verhandlungen mit möglichen Käufern beginnen. Bisher haben die Krankenhauskonzerne Asklepios, Helios, das Rhön-Klinikum sowie die Wiesbadener Dr.Horst-Schmidt-Kliniken öffentlich ihr Interesse an einer Übernahme der mittelhessischen Kliniken angemeldet. Das Hessische Wissenschaftsministerium macht keine Angaben zu weiteren Interessenten.
Georg Kronenberg
Mit dem Zusammenschluss der Universitätskliniken in Gießen und Marburg hat das Land Hessen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur umstrittenen Privatisierung der Hochschul-Krankenhäuser gemacht. Der Personalrat des Gießener Klinikums prüft derweil rechtliche Schritte gegen das von der Landesregierung verabschiedete Fusionsgesetz

Welche Folgen etwa die Personalräte der Krankenhäuser oder die Gewerkschaft Verdi durch den für Anfang 2006 geplanten, bundesweit einmaligen Verkauf der Hochschulkrankenhäuser befürchten, hat die Bürgerinitiative "Rettet die Klinika" bei einer Protestaktion am Tag vor der Fusion noch einmal unmissverständlich dargestellt: Unter dem Motto "Die Klinika gehen baden" wurde das Leuchtturmprojekt von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) buchstäblich in der Lahn versenkt. So rechnet der Gießener Personalrat damit, dass bis zu 3000 der insgesamt rund 10.000 Mitarbeiter beider Klinika ihre Jobs bei einer Privatisierung verlieren könnten.

Die Gewerkschaft Verdi hält die vom Land gegebene Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2010 für "löchrig wie ein Schweizer Käse". Der Dekan des Fachbereichs Medizin der Marburger Uniklinik, Bernhard Maisch, sieht die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre durch eine Privatisierung bedroht. Und der Allgemeine Patienten-Verband sorgt sich, dass ein Personalabbau unter einem privaten Betreiber die Krankenversorgung beeinträchtigen könne.

Seit Roland Koch Mitte Dezember völlig überraschend die Privatisierung der mittelhessischen Unikliniken angekündigt hat, ist der Protest gegen den Verkauf groß. Die über ein Jahr währende heftige Kritik an der Zusammenlegung der Krankenhäuser ist dagegen fast völlig verstummt. Schließlich sei die Privatisierung das "deutlich größere Übel", sagt etwa Gießens Personalratsvorsitzender Klaus Hanschur.

Dabei hatte gerade der Vorstand des Gießener Klinikums zuvor immer wieder befürchtet, bei einer Zusammenlegung mit Marburg schlecht weg zu kommen. Wegen der teilweise maroden Bausubstanz hat das Gießener Unikrankenhaus nach Schätzungen der Kliniksleitung einen Investitionsbedarf von rund 200 Millionen Euro. Marburg hat dagegen in den vergangen Jahren von hohen Investitionen profitiert.

Laut hessischem Wissenschaftsministerium ändere sich außer der Rechtsform durch die Fusion zunächst für Patienten wie Beschäftigte nichts. Bis zur Privatisierung soll ein achtköpfiger Vorstand mit Vertretern aus beiden Krankenhäusern übergangsweise die Geschicke des "Universitätsklinikums Gießen und Marburg" leiten. Neuer Vorstandsvorsitzender ist Gießens bisheriger Ärztlicher Direktor Wolfgang Weidner. Sein Marburger Amtskollege Matthias Schrappe bleibt Ärztlicher Direktor in Marburg und wird zugleich Weidners Stellvertreter.

In den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Auseinandersetzungen zwischen den Kliniksvorständen gegeben. Gießens Medizin-Dekan Hans Michael Piper hatte etwa Schrappe sowie den Marburger Kaufmänischen Direktor Hans-Joachim Conrad scharf kritisiert. Beide versuchten, in den Fusions-Verhandlungen Gießen zu benachteiligen und disqualifizierten sich deshalb für die Mitarbeit in einem gemeinsamen Klinikumsvorstand, so Piper.

Derweil prüft der Gießener Personalrat rechtliche Schritte gegen das von der Landesregierung vor drei Wochen beschlossene Gesetz, das die Zusammenlegung der Krankenhäuser regelt. Denn durch das gegen heftigen Widerstand von SPD, FDP und Grünen verabschiedete Fusionsgesetz würden die Beschäftigten wegen des Wechsels von Landesverträgen zu Klinikverträgen schlechter gestellt, kritisierte Personalratsvorsitzender Hanschur.

Georg Kronenberg



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