Express Online: Thema der Woche | 15. September 2005

Sonniger Endspurt

Genosse Trend scheint die Sozis wieder zu mögen. Grund genug für SPD-Chef Franz Müntefering in Wetzlar Angriffslust zu demonstrieren.

Am Anfang nieselte es beim Wahlkampfauftritt von SPD-Chef Franz Müntefering in Wetzlar noch ein bisschen, dann kam am die Sonne raus. Mancher SPD-Anhänger auf dem Wetzlarer Schillerplatz mag darin eine Parallele zu den wechselnden Wahlprognosen in den vergangenen Wochen gesehen haben. Dass der Genosse Trend es, zumindest nach den jüngsten Umfragen, wieder freundlicher mit den so arg gebeutelten Sozialdemokraten meint, wird denn auch erwartungsgemäß von Müntefering goutiert. Der SPD-Vorsitzende sieht gut eine Woche vor der Bundestagswahl Rückenwind für seine Partei und gibt sich von rund 800 Zuhörern kämpferisch. "Wir haben aufgeholt in den letzten Tagen, und das geht weiter", sagt Müntefering mit schweißtriefendem Hemd ob der sommerlichen Temperaturen. "Es steht spitz auf Knopf."

Schließlich habe Rot-Grün in sieben Jahren viel erreicht, "sicher aber nicht alles, was wir uns gewünscht haben". Müntefering, der neben Außenminister Joschka Fischer, CSU-Chef Edmund Stoiber oder FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt zu den prominentesten Wahlkämpfern dieser Tage in Mittelhessen gehört, kritisiert die von der Union geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer. "Wir können eine Erhöhung der Mehrwertsteuer jetzt und in absehbarer Zeit – in den nächsten vier Jahren ganz sicher – nicht gebrauchen." Er bemängelt zudem das Konzept des arg in die Kritik geratenen Steuerexperten Paul Kirchhof, der Mitglied im CDU-Wahlkampfteam ist. So solle etwa die Übungsleiterpauschale gestrichen werden – obwohl diese ein "Zeichen der Anerkennung" für Menschen sei, die sich ehrenamtlich engagieren.

Für ihn sei der "kleine Mann" der Leistungsträger in Deutschland. Er sei selbst geboren "in einem kleinen Dorf im Sauerland und mit 14 von der Schule abgegangen", so Müntefering.

Mit Blick auf die von der Union propagierten "Neuen Ehrlichkeit" vor der Bundestagswahl wettert der SPD-Vorsitzende: "Was hab' ich davon, wenn mir einer in die Fresse hauen will, und er sagt mir das vorher."

Stattdessen fordert der 65-jährige Politiker, dass ältere Menschen in Unternehmen wieder bessere Chancen haben müssten. "Wenn diese Gesellschaft nicht völlig verrückt ist, hören wir auf, die 50-, 55-, 60-Jährigen in die Ecke zu stellen."

Der Linkspartei wirft Müntefering in seiner rund einstündigen Rede unbezahlbare Wahlversprechen vor. Ein Wetzlarer Sympathisant von Gysi und Lafontaine sieht das freilich anders. Auf seine andauernden Zwischenrufe geht der SPD-Chef aber mit keinem Wort ein. Dagegen nimmt er das Grüppchen NPD-Anhänger, dass in den hinteren Zuschauerreihen Protestschilder in die Höhe reckte, ins Visier. Er habe keine Angst vor Glatzköpfen und Springerstiefeln. "Angst machen mir die Nadelstreifenanzugträger unter euch." Eben Leuten in feinen Anzügen, die mit ihrem Geld hinter rechtsextremen Parteien stünden. Leuten, die schon in der Weimarer Republik Hitler an die Macht gebracht hätten: "Die braune Sauce darf keine Chance mehr haben in Deutschland." Das wird mit starkem Beifall quittiert.

Nach dem Appell an die Zuhörer, die brav im Hintergrund auf der Bühne stehenden heimischen SPD-Kandidaten mit ihrer Stimme zu unterstützen, und der obligatorischen Siegerpose mit erhobenen Daumen ist dann Schluss. Und "Münte" gibt bestens gelaunt noch ein paar Autogramme vor der Bühne an überwiegend junge Fans.

Ich hoffe, die Aufholjagd der SPD in den letzten Prognosen wird sich auch im Wahlergebnis widerspiegeln", sagt ein etwa 30-jähriger SPD-Anhänger beim Weggehen nachdenklich. Denn: "Die Leute sind wirklich völlig unsicher, wem sie ihre Stimmen geben." Das hätten die letzten Wochen bewiesen. "Da kann am Sonntagabend immer noch alles mögliche dabei rauskommen."

kro/ra



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