Express Online: Thema der Woche | 13. Oktober 2005

Hohe Erwartungen

Nach dem sportlichen Erfolg der Gießen46ers in der vergangenen Saison sind die Dauerkarten weggegangen wie warme Semmeln. Der Saisonstart des Basketball-Bundesligisten wird aber durch die schwere Verletzung von Topscorer Chuck Eidson belastet

Zum Saisonstart übt sich 46ers-Geschäftsführer Christian Maruschka in vorsichtiger Zurückhaltung: "Das sportliche Ziel vom letzten Jahr hat sich nicht verändert. Wir wollen so früh, wie möglich den Klassenerhalt erreichen und dann neue Ziele definieren." Dabei gelte es natürlich dafür zu sorgen, "dass die Osthallen-Besucher so oft mit einem Lächeln nach Hause gehen, wie uns das in der letzten Saison gelungen ist", sagt Maruschka und lächelt ebenfalls.

Mit der Teilnahme am Play-Off-Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft hatte die Mannschaft um das Trainerduo Stefan Koch und Thorsten Leibenath schließlich die in sie gesetzten Erwartungen bei weitem übertreffen können. Und die Fans sind zweifellos guter Dinge, dass es auf dem Spielfeld ähnlich erfolgreich weitergeht. Wie anders lässt sich erklären, das der Basketball-Bundesligist für die Heimspiele knapp 2000 Dauerkarten los geworden ist – 400 mehr als in der vergangenen Saison. "Fast jeder Sitzplatz ist schon verkauft", freut sich Maruschka, der seit 2000 im Management der 46ers ist, und bereits seit Jahren einen "kontinuierlichen Basketballboom" in der Unistadt ausmacht.

Für Gießens Oberbürgermeister Heinz-Peter Haumann ist die Mannschaft denn auch "ein Aushängeschild" für die Stadt und die Region. Mit dem überraschend guten Abschneiden in der vergangenen Spielzeit habe das Team dem Klub nicht nur einen großen sportlichen Erfolg beschert, sondern deutschlandweit für die ganze Stadt geworben.

Maruschkas Zurückhaltung freilich scheint trotz der Lobeshümnen vom Rathauschef angebracht: Zum einen liegt auch das Tal der Tränenfür die 46ers noch nicht lange zurück. Maruschka: "Die größte Pleite war der sportliche Abstieg in der Saison 03/04." Zum anderen kann der zurückhaltende Headcoach Stefan Koch in der neuen Saison nicht auf den Zwei-Meter-Mann aus South Carolina, setzten, der für den zurückliegenden Erfolg maßgeblich mitverantwortlich ist.

Denn vier Wochen vor Saisonbeginn hatte Topscorer Chuck Eidson in einem Tastspiel einen Kreuzbandriss erlitten. Der von den Fans zum Basketball-Bundesliga-Spieler des Jahres gewählte Flügelspieler fällt für voraussichtlich ein halbes Jahr aus. Und auch wenn wohl viele darauf hoffen, dass Eidson bis zu beginn der Ausscheidungsrunde wieder spielen kann. Erstmal muss Headkoach Koch seine auf Eidson zugeschnittenen Systeme komplett umstellen.

Wie auch immer sich das Geschehen auf dem Spielfeld entwickelt, drumherum wird jedenfalls alles größer und schöner: Bis Herbst 2006 soll die Sporthalle Ost umgebaut werden. Neben einer Erweiterung der Zuschauerkapazität von zurzeit 3150 auf mindestens 4000 Plätze wird auch der Bereich für die Essensstände vergrößert. Außerdem wird ein 400 Quadratmeter großer Vip-Raum dazu kommen. Für die Spieler gibt's neue Umkleidekabinen und einen neuen Physiotherapie-Raum.

Dass die beste Infrastruktur freilich kein Garant für sportliche Höchstleistungen ist, haben die auf den unteren Rängen rumkrebsenden Bundesliga-Handballer in Gießens Nachbarstadt Wetzlar nach dem Umzug in die dortige Mittelhessen-Arena zwar schmerzlich erfahren müssen. Aber daran müssen sich die 46ers ja kein Beispiel nehmen.

Georg Kronenberg


Express Online: Thema der Woche | 13. Oktober 2005

Ein Leben als Handlung

Die Performance-Gruppe "klimaelemente" zeigte ihre Produktion "Leidenschaftlich Hannah Arendt" in der Marburger Waggonhalle. Regisseurin Heike Scharpff schafft mit der Biografie-Performance, die im Frankfurter Mousonturm Premiere hatte, einen unkritischen, aber dennoch unstrittigen Abend

Zwei weiße Rechtecke zieren die Mitte der schwarzen Bühne. Oben, zwischen den hellen Platten, hängt eine Kuckucksuhr als kryptisches Zeichen für eine ganze Biographie. Das Saallicht der Waggonhalle ist noch nicht runter gedimmt, da schlendern die drei Schauspieler Susanne Burkhard, Barbara Englert und Philipp Sebastian seitlich in den Raum hinein. Lässig, lächelnd, als wäre der Stoff, der hier als Grundlage für ihre Produktion dient, eine leichtfüßige Spielerei. Wohl schon eher ist diese Lässigkeit jedoch ein deutliches Indiz vorab, mit welcher Darstellerhaltung die drei Performer sich der Person Hanna Arendt nähern: Einer fragmentarischen Mischung aus Bericht, Kommentar und tatsächlicher Verkörperung. Immer zirkulär und deskriptiv, selten illusorisch. Mal schildern sie per Datumsangaben tagebuchartig kurze Abschnitte aus dem Leben ihrer historischen Protagonistin, mal lassen sie sogar imaginäre Dialoge im Raum entstehen. Ein Raum, der für Hannah immer ein Denkraum war, wird bei den "klimaelementen" im Laufe der Zeit dekonstruiert. Die weißen Rechtecke werden zum offenen Kubus aufgeklappt, zur kurzlebigen Plattform einer Diskussionsrunde, eines Ortes rückblickender Interviews, bis die Wände ganz aus den Angeln gehoben und an die Seite gestellt werden.

Zwischen August 1960 und Februar 1925 liegt die Zeitspanne, der Ausschnitt eines Lebens voller Engagement und Agitation, das die Gruppe hier auf die Bühne bringt. Von den Freiburger Tagen, wo Hannah Arendt einst leidenschaftlich referierte, bis zu ihrer intellektuellen Wut auf das deutsche Nazi-Regime und die posthume Verurteilung Adolf Eichmanns, an der sie maßgeblich beteiligt war, reicht das inhaltliche Spektrum in einer schier undurchdringlichen Chronologie, die dem Zuschauer gerade wegen der hohen Textlastigkeit enorme Aufmerksamkeit abverlangt.

Und bei einzelnen amourösen Tönen aus dem vielfarbigen Briefwechsel gerät die Gruppe um Regisseurin Heike Scharpf durchaus auch ins Deklamieren und den unerwünschten Pathos des Illusionstheaters, doch der ist mit einem Wisch wie weggefegt und schon ist man bei Heidegger und mitten im Diskurs über die Position Hannah Arendts im intellektuellen Betrieb. Ihr, der Denkerin mit den Erfahrungen zweier Kriege und der staatlicher Zersplitterung, ging es weder um den Status der Philosophin, noch um den der Politikerin. Ihr ganz persönlicher Begriff der "politischen Theorie" als Bodensatz jeglichen Engagements stellen die drei Performer deutlich heraus, Kernsatz bleibt: "Menschen, die nicht denken sind wie Schlafwandler.".

Nur die kritische Hinterfragung der Arendtschen Standpunkte bleibt bei den "klimaelementen" eher draußen. Immerhin könnte man ihr utopischen Enthusiasmus ebenso wie verklärtes Freiheitsgebilde einer Sehnsucht nach der antiken Polis durchaus nachweisen, wenn schon nicht vorwerfen. Doch das löst die Gruppe nicht ein, und das ist auch gut so. Denn die "klimaelemente" haben es sich mit diesem Abend, der schon am 22. September im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm Premiere hatte, von Anfang an zum Ziel gesetzt, das Denken Hannah Arendts im theatralen Raum sinnlich erfahrbar zu machen. Und dieses Experiment ist mehr als gelungen. Am Ende klirren Eiswürfel im Whiskeyglas und rauchige Atemgeräusche hängen in der Luft. Dann geht das Licht wieder aus, langsam, ganz langsam.

Rüdiger Oberschür



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