Express Online: Thema der Woche | 3. November 2005

Facetten eines Tabu-Themas

Bernard Jakoby
Der Tod seines Vaters und seiner Mutter bewog Jakoby dazu, sich dem intensiven Studium spiritueller Literatur über das Sterben und ein mögliches Leben danach zu widmen. Während seiner langjährigen Arbeit als Sterbebegleiter an der Berliner Charité wurde dem Wissenschaftler bewusst, dass das Sterben "ein langwieriger Prozess ist, der in der Regel lange vor dem eigentlichen Tod beginnt und weitaus komplexer ist, als man vermuten mag", wie er sagt. Nebenbei leitete er Gruppen und Seminare, an denen zahlreiche Menschen mit Todesnäheerfahrungen teilnahmen.
Heute gilt der durchaus mit Selbstdarsteller- Qualitäten ausgestattete Jakoby als anerkannter Experte für Sterbeforschung im gesamten deutschsprachigen Raum. Sein Renommee beschert ihm mittlerweile enge Kontakte zur Hospiz-Bewegung. Regelmäßiges Interesse bekunden auch Ausbildungsstätten für Alten- und Pflegekräfte.
Dabei sind Jakobys Ausführungen durchaus nicht unumstritten. Auch sein Marburger Vortrag führt im Publikum vereinzelt zu kritischen Kommentaren. So zum Beispiel, wenn er mit einer unerschütterlichen Gewissheit von Vorgängen spricht, die er so beschreibt, als könne man sie nur aus seiner Perspektive plausibel erklären. Oder wie es ein Besucher formuliert: "Das ist mir manchmal etwas zuviel Gewissheit für so ein Thema."
Savo Ivanic
Was kommt nach dem Tod? Der Sterbeforscher Bernard Jakoby will Menschen die Angst vor dem Tod nehmen und polarisiert nicht selten mit seinen Thesen.

Das Thema Tod und Sterben ist eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft. Kein Wunder, assoziiert man damit doch an erster Stelle Dinge wie von Schmerz und Krebs gezeichnete Patienten, die zumeist einsam und durch lange Schläuchen künstlich am Leben erhalten einem überforderten Gesundheitssystem ausgeliefert ihrem Ende entgegendämmern.

Dieser Verdrängung entgegenzuwirken ist das erklärte Ziel von Bernard Jakoby. Der international renommierte Sterbeforscher referierte am vergangenen Wochenende auf Einladung des im Sommer dieses Jahres gegründeten Vereins "TrauerLeben" in Marburg zum Thema Nah- und Nachtodeserfahrungen.

Der Berliner Wissenschaftler ist nach jahrelanger Arbeit davon überzeugt, dass der Tod nur ein Übergang in eine andere Form des Seins ist. "Es gibt unbestreitbare Hinweise darauf, dass das Bewusstsein unabhängig vom Körper existiert und dass es sich bei sogenannten Nahtoderfahrungen nicht um Restwahrnehmungen oder durch Sauerstoffmangel verursachte Halluzinationen handelt, wie es von Kritikern erklärt wird", so Jakoby.

Zur Untermauerung seiner Thesen zitiert er immer wieder Menschen, die nach einer Operation im klinisch toten Zustand imstande waren, medizinische Geräte zu beschreiben und Vorgänge exakt widerzugeben, während sie ihren toten Körper von oben betrachteten.

Fast jeder kennt die Schilderungen von Reisen durch einen Tunnel, an dessen Ende ein helles Licht zu sehen war; vom eigenen Leben, das rasend schnell noch einmal vor dem inneren Auge des Betrachters ablief; oder von dem Licht, das von Wiederbelebten als die größtmögliche Liebe bezeichnet wurde, die man sich vorstellen kann.

Hinzu kommen unzählige Eindrücke einer Bewusstseins-Erweiterung, welche die Sterbenden nach ihrer Rückkehr nur schwer in Wort fassen können. "Alle Menschen, die solch eine Erfahrung gemacht haben, weisen anschließend erhebliche Persönlichkeitsveränderungen auf", erklärt Jacoby.

Seine Erkenntnisse gewann der Sterbeforscher aus zahllosen Interviews mit Pflegekräften, Hospiz-Mitarbeitern und Menschen, die, zunächst für klinisch tot erklärt, reanimiert werden konnten. Vor allem letztere sind es, mit deren Schicksal sich bereits die mittlerweile verstorbene Elisabeth Kübler-Ross intensiv befasste und zu der auch Jakoby engen Kontakt pflegte.

Kein Wunder also, dass sich die Medien auf ihn stürzen. Garantiert sein Forschungsgebiet doch Top-Einschaltquoten und hohe Auflagen. Egal ob Ex-Fernseh-Pfarrer Fliege, ZDF-Plauderer Johannes B. Kerner, die boulevardeske "Bild" oder die seriöse "Süddeutsche Zeitung" – alle haben sie sich schon mehr oder weniger ausführlich mit seinen Thesen beschäftigt.

Doch Jakoby geht es um mehr. Er will aufklären, wachrütteln, den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen und sie zu einem anderen Umgang mit Sterbenden ermuntern. "Die meisten Angehörigen sind am Sterbebett nicht in der Lage loszulassen. Damit machen sie es dem Sterbenden aber unnötig schwer. Natürlich ohne dies selbst zu wissen. Deshalb passiert es ja so häufig, dass Menschen gerade dann sterben, nachdem die Angehörigen das Krankenzimmer verlassen haben".

Nicht von ungefähr beklagt Jakoby einen Mangel an Trauer- und Sterbe-Kultur: "In der westlichen Welt hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte der Umgang mit dem Thema Sterben in Wort, Denken, sozialem Verhalten und auch in der Kunst stark zum Negativen verändert", gibt der Sterbeforscher zu bedenken. "Was früher, auch durch den stärkeren Einfluss der Kirchen bedingt, Anlass zum Nachdenken war, aber manchmal auch zur persönlichen Umkehr, ist heute leider vornehmlich zum Thema der Medizin und der Spitäler geworden."

Auch zu Themen wie Organspende, Suizid, Trauerbewältigung und Sterbehilfe bezieht Jakoby immer wieder Stellung. Dabei polarisiert er nicht selten. Den Verkaufszahlen seiner Bücher tut das keinen Abbruch. Jakobys Werke wie "Das Leben danach" oder "Geheimnis Sterben" finden sich regelmäßig unter den Top 10 der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Das Thema Sterben und Tod treibt den Berliner seit zwei Jahrzehnten um. Bereits während seines Literaturstudiums setzte er sich intensiv damit auseinander. Vor allem aber nach der Krebserkrankung seiner Eltern erlebte er unmittelbar den Umgang der modernen Medizin mit Todkranken: Operationen, Chemotherapie, wieder Operationen und schließlich die Intensivstation. Ein Wechselbad aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.

Savo Ivanic



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