Express Online: Editorial | 29. Juni 2006

Locker bleiben

Wer hätte das noch vor wenigen Wochen gedacht? Deutschlands eigentlich für ganz andere Tugenden bekannte Fußball-Nationalmannschaft, die sich noch 2002 mit mehr Glück als Verstand ins WM-Finale mogelte, spielt packenden Angriffsfußball. Selbst holländische Fußballtrainer zollen ihre Anerkennung. Im WM-Land gastierende Engländer reiben sich verwundert die Augen und stellen bei den Deutschen einen "erstaunlichen Sinn für Humor" fest. Auch die internationale Presse ist voll des Lobes über die schwarzrotgoldene WM-Party und attestiert den Fahnenschwenkern prima Gastgeberqualitäten und Fetenkultur.

So manchem gestandenen Linken ist der Trubel freilich unheimlich, umso mehr als nicht wenige seiner einstigen Genossen inzwischen selbst mit schwarz-rot-gold bemalten Gesichtern in der Public-Viewing Area Spiele feiern. So wird aus dem Hamburger Schanzenviertel berichtet, dass dort die schwarz-rot-goldenen Autowimpel gegen Prämie wieder "eingesammelt" werden. Im Marburger Café Trauma gibt's zwar Fußballübertragungen, Nationalflaggen – übrigens nicht nur die deutsche – sind dort aber verpönt und allenfalls dezente Schminke erwünscht.

Vielleicht sollten wir uns an die – leider gerade ausgeschiedenen – Schweizer halten, die bei den Gastgebern eine Tendenz zur "Gelassenheit" ausmachten. Das hätte wohl vor kurzem ebenfalls kaum einer gedacht.

Georg Kronenberg
Michael Arlt



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