Express Online: Editorial | 24. August 2006

Was wäre, wenn ...

Käme jemand auf den Gedanken, ein ganzes Express-Intro ausschließlich im Konjunktiv zu schreiben, die Zuneigung der Sprachbewahrer wäre ihm sicher. Alle frohlockten, dieser schon fast ausgestorben geglaubte Modus feiere hier fröhliche Urständ; in jedem Lehrerzimmer fasste man sich bei den Händen und tanzte den Irrealis. Bastian "Zwiebelfisch" Sick würde sich vor Rührung eine Träne aus seinem Sprachzentrum wischen. Es könnte so schön sein – gäbe es nicht schon längst viel mutigere Retter und hätten diese nicht schon viel früher der Konjunktivmüdigkeit ihrer Eltern entsagt, um diesen herrlich angestaubten Umlauterzeuger für nachfolgende Generationen zu erhalten. Gäbe es nicht unsere Kinder.

Wer unter uns Eltern würde abstreiten, bei kindlichen Rollenspielen regelmäßig Sätze zu hören wie "Ich wär' die Prinzessin, und du wärst der Prinz" oder "Hier wär' unsere Höhle, und du würdest mich da besuchen"? Und wer wollte leugnen, bei solchen Gelegenheiten früher selbst den schnöden Indikativ gebraucht zu haben?

Den Puristen gereiche diese unerwartete Wendung der Sprachgeschichte zum Trost und zur Ermutigung. Und wir alle könnten uns bei unserem Nachwuchs eine Scheibe abschneiden – auf dass es auch morgen noch heiße: Lang lebe der Konjunktiv!

Stefan Balzter



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