Express Online: Thema der Woche | 12. Januar 2006

"Fakten schaffen"

Am Patienten darf man nicht sparen, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Rhön-Klinikums, Gerald Meder. Im Express-Interview erklärt der 51-jährige Diplom-Kaufmann, wie der börsennotierte bayerische Krankenhaus-Konzern mit dem neu erworbenen Universitätsklinikum Gießen und Marburg schwarze Zahlen schreiben will.

Express: Die Bürgerinitiative "Rettet die Klinika" hat über 18.000 Unterschriften gegen die Privatisierung gesammelt. Wie erklären sie den vielen verunsicherten Patienten, dass ein Klinikum, das künftig Gewinn abwerfen soll, für sie von Vorteil ist?
Meder: Erstens: Wir wissen sehr genau, dass man an den Patienten nicht sparen kann. Das heißt: ein Patient des Universitätsklinikums, der das Gefühl hat, in der ärztlichen Pflege oder bei der Medikation sei an ihm gespart worden, wird dort nicht mehr hingehen. Wir sind als Unternehmen – das zurzeit schon 400.000 Patienten stationär und 500.000 ambulant beteut – aber darauf angewiesen, dass Patienten sich den Universitätskrankenhäusern in Gießen und Marburg anvertrauen.
Zweitens: Wir optimieren durch Investitionen von rund 367 Millionen Euro die Betriebsabläufe und verbessern damit dauerhaft die Gesundheitsversorgung in Mittelhessen. Außerdem wollen wir durch enge Zusammenarbeit mit den Kliniken in der Region – zum Beispiel durch das Teleportal-Konzept die Krankenversorgung in der Fläche verbessern.

Express: Was bedeutet das?
Meder: Im Umkreis von 100 Kilometern rund um Gießen und Marburg gibt es viele kleine Krankenhäuser, die durch das neue Fallpauschalen-Abrechnungssystem in ihrer Existenz bedroht sind. Durch unser Teleportal-Konzept, das wir im Konzern bereits an zwei Standorten in Betrieb haben, könnte man diese kleinen Häuser an das Universitätsklinikum Gießen und Marburg anbinden. Damit der Patient wohnortnah qualifiziert versorgt werden kann und gleichzeitig durch die Vernetzung bei einer schweren Erkrankung die Möglichkeit hat, sofort von Spezialisten des Universitätsklinikums weiter behandelt zu werden.
Ein Beispiel: Ein Patient wird mit einem Schlaganfall in eine kleine Klinik eingeliefert. Dort wird er dann am dortigen Computertomographen untersucht, den sich das kleine Krankenhaus alleine nicht leisten könnte. Die Daten aus dem Computertomographen werden ins Universitätsklinikum übertragen. Dort stellt ein Spezialist eine erste Expertise. Ist eine Blutung die Ursache für den Schlaganfall, muss der Patient sofort nach Gießen oder Marburg verlegt werden, weil man ihn neurochirurgisch behandeln muss. Hat er nur eine Gefäßverstopfung kann man ihn mit Medikamenten im Krankenhaus vor Ort qualifiziert unter Begleitung der Spezialisten des Universitätsklinikums behandeln.

Express: Haben sie schon Gespräche mit den Kliniken in der Region aufgenommen, um das Konzept umzusetzen?
Meder: Wir haben das im Kaufvertrag für das Universitätsklinikum als Angebot für die Region formuliert. Das ist auch in einem Zeitraum von zehn Jahren zu sehen, in dem sicherlich das eine oder andere Krankenhaus zunehmend Schwierigkeiten kriegen wird. Und dann stehen wir sozusagen bei Fuß und bieten dieses Teleportal-Konzept zur medizinischen Zusammenarbeit als Lösung an. Es könnte aber auch sein, dass uns dann ein Krankenhaus auch als Investor oder Partner will.

Express: Welche Rendite erwartet die Rhön-Klinikums-Aktiengesellschaft beim Uni-Klinikum?
Meder: Das kann ich noch nicht sagen. Wir denken langfristig und werden erstmal die Wirtschaftlichkeit verbessern. Unsere Erfahrung ist zum Beispiel, dass wir Sachkosten, die Medikamentenpreise etwa, bei jeder Krankenhausübernahme um acht bis zehn Prozent absenken konnten. Das tut keinen Patienten weh.

Express: Ab wann rechnen sie damit, schwarze Zahlen zu schreiben?
Meder: Bis 2010 wollen wir in kleinen Schritten Strukturverbesserungen durchführen. Wenn wir schon vorher schwarze Zahlen schreiben, werden wir uns nicht beklagen.

Express: Wenn ihnen die traditionelle Rivalität zwischen den Forschern an den Uni-Kliniken in Marburg und Gießen keinen Strich durch die Rechnung macht. So befürchten Mediziner des Gießener Uni-Klinikums, dass Marburg künftig zur "Forschungsabteilung" wird, während Gießen hauptsächlich für die Krankenversorgung zuständig sein könnte – weil sie das rund 107 Millionen Euro teuere internationale Zentrum für Partikeltherapie, in dem neue Wege bei der Tumorbekämpfung beschritten werden sollen, in Marburg ansiedeln wollen.
Meder: Dieses Konkurrenzdenken sehen wir nicht so problematisch. Solange die Marburger dachten, sie seien durch die neuere Bausubstanz besser aufgestellt als Gießen und die Gießener sich benachteiligt fühlten, konnte die Rivalität Blüten treiben. Das ist jetzt zu Ende. Wir wollen nicht lange diskutieren, sondern Fakten schaffen und beide Kliniken aufrüsten. Und wenn beide Standorte gut aufgestellt sind, schadet ein wissenschaftlicher Wettbewerb der Forscher nichts.
Das Zentrum für Partikeltherapie zur Krebsfrüherkennung wird in Marburg angesiedelt, weil wir auf den Lahnbergen ein geeignetes Gelände haben. Gießen wird durch die umfangreichen Neubauten eine Großbaustelle, wo man schlecht noch ein Partikeltherapie-Zentrum von 120 Metern Länge und 70 Metern Breite dazwischen setzen kann.
Das heißt, Krebs-Patienten müssen einmal zur Untersuchung nach Marburg. Für die anschließende Diagnostik werden aber in beiden Städten so genannte Positions-Emissions-Tomographie-Zentren eingerichtet. Das Know-How für die Forschung und Lehre rund um das Partikeltherapie-Zentrum wird in beiden Städten entwickelt.

Express: Trotz der Beschäftigungsgarantie bis 2010 im Klinikums-Kaufvertrag haben viele Mitarbeiter Angst um ihre Arbeitsplätze und befürchten insbesondere das Outsourcing einzelner Arbeitsbereiche und damit verbunden schlechtere Arbeitsbedingungen und Bezahlung.
Meder: Wenn unsere Investitionen umgesetzt sind, werden in einzelnen Berufsgruppen Stellen wegfallen. Es ist noch viel zu früh, um über Zahlen zu reden. Ich nenne jetzt auch bewusst keine Berufsgruppe, damit die Mitarbeiter keine unnötige Angst bekommen. Denn: um Stellenkürzungen aufzufangen, werden wir einen Sozialfonds von 30 Millionen Euro einrichten. Damit etwa durch Umschulungen zukunftsfähige Arbeitsplätze über das Jahr 2010 hinaus entstehen.
Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass wir mit den Personalräten langfristige Entwicklungs- strategien vereinbaren können. Outsourcing-Pläne gibt es bis jetzt definitiv nicht. Ich denke, dass man über ordentliche Tarifstrukturen, die wir mit den Gewerkschaften aushandeln wollen, das Auslagern von einzelnen Arbeitsbereichen zu externen Firmen überflüssig machen kann.

Interview: Georg Kronenberg



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