Express Online: Thema der Woche | 27. April 2006

Der Gleichklang der Alternativen

Elmar Altvater
... war bis 2004 Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU-Berlin. Neben Fragen der Entwicklungstheorie, der Verschuldung, sowie der Regulierung von Märkten beschäftigt er sich mit den Auswirkungen kapitalistischer Ökonomien auf die Umwelt. Altvater ist ein renommierter Kritiker der "politischen Ökonomie" und Autor zahlreicher globalisierungs- und kapitalismuskritischer Schriften.
Elmar Altvater engagierte sich für die Grünen, ging jedoch nach dem Kosovo-Krieg zunehmend kritisch auf Distanz. Altvater war Mitglied der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten (1999 – 2002) des deutschen Bundestages. Heute wirbt er für attac und das Weltsozialforum.
Quelle: Wikipedia
Elmar Altvater, Berliner Politikwissenschaftler und prominenter Kapitalismus- und Globalisierungskritiker, stellte sein neuestes Buch "Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen" in Marburg vor. Im Express-Gespräch äußerte sich der Autor, der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von attac ist, zu Fairness in der Gesellschaft, fossilen Auslaufmodellen und ökonomischen Alternativen.

Express: Ihr neuestes Buch ist eine radikale Kritik an der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Ist die globale Ökonomie außer Kontrolle geraten?
Altvater: Das ist sie schon lange, denn die liberalisierten Gesellschaften haben schon viele Krisen erfahren. Die Globalisierung begann Mitte der siebziger Jahre, in den 80ern folgte die Schuldenkrise der Länder der "Dritten Welt", in den in den 90er Jahren dann die großen Finanzkrisen in Asien, Lateinamerika, Osteuropa und auch in den arabischen Ländern. Und schließlich der Zusammenbruch der "New Economy" im Jahr 2000, wo auch einige tausend Milliarden US-Dollar in den Sand gesetzt wurden. Die Spekulationsblasen werden momentan wieder aufgefüllt, so dass ein neuer Krach nicht ausgeschlossen werden kann.

Express: In ihrem Buch beschreiben Sie die Vorteile fossiler Rohstoffe für den Kapitalismus. Welche sind das im Einzelnen?
Altvater: Die fossilen Energieträger haben für den Kapitalismus die Vorzüge, dass sie erstens raumunabhängig sind. Man kann sie irgendwo fördern und relativ leicht transportieren und dann nach ganz anders gearteten Standortentscheidungen – wo die Verfügbarkeit gar keine Rolle spielt – Produktionsstätten errichten und dort die Energien hintransportieren. Sie haben weiterhin den Vorzug, dass sie auch zeitunabhängig sind. Sie können gelagert werden, und sie erlauben eine enorme Beschleunigung aller Prozesse. Beschleunigung ist nichts anderes, als der Anstieg der Produktivität, also der Produktion von Gütern und Dienstleistungen in immer kürzeren Zeitabschnitten. Diese Vorzüge sind es, die die fossilen Energieträger so voll kompatibel mit der Logik des Kapitalismus machen.

Express: Welche weltweiten Konflikte stehen uns in den nächsten Jahren möglicherweise bevor, wenn Öl als Energieträger nicht an Bedeutung verliert?
Altvater: Wir sind ja mitten in die Konflikte um die letzten Reste von Öl involviert. Das Öl geht zur Neige, selbst offizielle Institutionen wie der Internationale Währungsfond gehen davon aus, dass es noch etwa 40 Jahre reichen wird. Das ist gerade einmal der Zeitraum einer Generation. Andere sind da noch sehr viel skeptischer. Am Ende des Ölzeitalters wäre es notwendig, möglichst solidarisch und selbstbewusst zu anderen erneuerbaren Energien überzugehen. Stattdessen findet jetzt die Auseinandersetzung um die letzten Reste des Öls statt. Man kann den Irak-Krieg nicht nur als Ölkrieg bezeichnen, aber er ist auch ein Ölkrieg um die Einflüsse auf die Förderung in der gesamten Region. Und schließlich ist es auch eine Auseinandersetzung um die Beherrschung der Öllogistik, d.h. die Pipelines und die Tankerrouten. All das nimmt zu und macht die Welt nicht gerade friedlicher.

Express: Welche Bedeutung hat Solidarität als glaubwürdige Alternative gegenüber dem freien Markt?
Altvater: Das ist die entscheidende Alternative, denn der sogenannte "freie Markt" ist ja gar nicht frei! Es ist ein Markt, auf dem die Größten auch die größte Macht und die größten Einflussmöglichkeiten haben und die Kleinen haben keine. Da hat Solidarität überhaupt keinen Ort, wo sie stattfinden könnte. Infolgedessen kann man den Markt nicht als frei bezeichnen. Solidarität wäre die einzige Möglichkeit als Prinzip, wie man zu einer vernünftigen Verteilung der Energieträger gelangen kann. Aber nicht nur dieser, sondern auch zu einer vernünftigen Art und Weise der Produktion und des Verbrauchs von Energie und anderen Rohstoffen und Waren.

Express: Wie lässt sich Solidarität in der heutigen Gesellschaft stärken?
Altvater: Man kann sie nicht stärken, indem man jetzt ein Gesetz macht. Das ergibt sich vielmehr aus den Erfahrungen der Menschen. In Lateinamerika existiert schon lange eine ganze Bewegung, die sich "solidarische Bewegung" nennt, und die nach genossenschaftlichen Prinzipien produziert. Ähnliche Dinge gibt es auch in Europa, wo der "non-profit-Sektor" inzwischen der größte Arbeitgeber geworden ist. Daran kann angeknüpft werden.

Express: Wie beurteilen Sie die Rolle sozialer Bewegungen wie "attac"?
Altvater: Die sozialen Bewegungen haben eine ganz große Aufgabe. Sie müssen – wenn der Spruch "Eine andere Welt ist möglich" umgesetzt werden soll – genau gegen die Vorherrschaft von Konzernen Alternativen entwickeln. Das kann nur so etwas wie eine solidarische Ökonomie sein. Eine mehr regulierte im Interesse der Menschen, der Arbeitsplätze, des sozialen Ausgleichs und der Fairness. Das ist es eigentlich, was man als solidarisch bezeichnen kann.

Express: Im letzten Teil Ihres Buches mahnen Sie eine nachhaltigere Wirtschaftsweise und das Ende des Raubbaus an den fossilen Rohstoffen an. In welchem Umfang ließe sich eine solare Gesellschaft realisieren?
Altvater: Es gibt keine Solidarität, ohne dass man nicht auch das Energiesystem umbaut. Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als zu erneuerbaren Energieträgern überzugehen. Diese haben auch Eigenschaften, die mehr lokal und regional sind. Da sind ganz andere Produktionsweisen angesagt, als sie gegenwärtig wirksam und dominant sind. Es geht nur mit einem Gleichklang aus Alternativen, die auf den Prinzipien von Solidarität und Fairness aufbauen und dem Übergang zu erneuerbaren Energien.

Express: Ihre Alternativen sind auch ein Stück eine Deglobalisierung?
Altvater: Man könnte das so bezeichnen. Der Begriff umschließt aber auch noch andere Elemente. Man muss sich stets darüber im Klaren sein, dass wir in einer globalisierten Welt leben und diese Globalisierung auch nicht in jeder Hinsicht rückgängig gemacht werden kann. Und auch nicht rückgängig gemacht werden sollte, denn Globalisierung bedeutet auch mehr kulturellen Austausch und mehr Möglichkeiten der Wahrnehmung dessen, was der Planet Erde zu bieten hat. Nur muss das anders organisiert werden, als dies jetzt der Fall ist. Es kann nicht alles über den Markt geregelt werden.

Interview: Martin Falge



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