Express Online: Thema der Woche | 18. Mai 2006

Traum erfüllt

Marburgs neues Literaturbüro ist in Nord- und Mittelhessen einzigartig. In dem kleinen Häuschen können Literaturinteressierte aus der ganzen Region vorbeischauen, um sich über Bücher, Autoren und Aktivitäten zu informieren.

Das Herzstück ist die Bettcouch", sagt der Vorsitzende der Neuen Literarischen Gesellschaft Marburgs, Ludwig Legge. Die rote Schlafstatt mit Blick auf den Schuhmarkt soll nämlich Schriftstellern aus der ganzen Welt zu einem Arbeitsaufenthalt in Marburg verhelfen. Erster Besucher wird der in Wien lebende deutsch-amerikanische Jazzdichter Herbert Kuhner sein.

Mit dem nur einen Steinwurf vom Marburger Rathaus entfernten Literaturbüro "Literatur um 11" hat sich die Literarische Gesellschaft der Universitätsstadt einen Traum erfüllt. In dem kleinen Häuschen in Aulgasse kommen nicht nur die Akten und Veröffentlichungen des Vereins unter. Dreimal in der Woche können auch Literaturinteressierte und Ratsuchende aus der ganzen Region vorbeischauen, um sich über Bücher, Autoren und Aktivitäten zu informieren. Zudem ist das Büro natürlich Treffpunkt für die Mitglieder, die hier über Romane und Gedichte diskutieren.

Möglich wurde die in Nord- und Mittelhessen einzigartige Einrichtung durch einen Glücksfall. Die 40-Quadratmeter-Wohnung gehört einem Freund der Literarischen Gesellschaft – Wilhelm Vetter, in dessen Café alle Lesungen stattfinden. Er überlässt dem Verein die Wohnung zum Vorzugspreis. Sponsoren und ein kleiner Zuschuss der Stadt sorgen für den Rest der Miete.

Schon seit 1974 lädt die Neue Literarische Gesellschaft – damals als Gegenpol zum bürgerlichen Literaturbetrieb gegründet – Autoren aus der ganzen Welt nach Marburg. Die Gründer sind inzwischen längst in die Jahre gekommen. Doch mit "Literatur um 11" haben sie sich einen Namen gemacht. Sonntags um diese Uhrzeit ist nämlich die Lesezeit der Autoren, die Legge und seine Mitstreiter in die Universitätsstadt locken. Ein Schwerpunkt ist die Literatur aus der Ex-DDR und aus Osteuropa. Luise Rinser, Pavel Kohout, Tschingis Aitmatow und Jewgeni Jewtuschenko haben in der Kaffeehausatmosphäre mit Blick über die Stadt gelesen. Auch Rolf Hochhut und Tankred Dorst sprachen über ihre Arbeit. Mehr als 1000 Lesungen mit bekannten und unbekannten Schriftstellern hat die Vereinigung in den vergangenen 30 Jahren organisiert: "Wir haben nirgendwo ein so aufmerksames, geduldiges Publikum wie hier, sagen die Autoren", erzählt Legge, der selbst experimentelle Gedichte schreibt.

Max von der Grün hat fast alle seine Bücher in Marburg vorgestellt. Walter Kempowski war oft zu Gast. Ihm hat die Literarische Gesellschaft sogar einen Herzenswunsch erfüllt. In Non-Stop-Lesungen von sieben Tagen und sieben Nächten haben die Bücherfreunde Kempowskis "Echolot" komplett gelesen. "Wir wollten beweisen, dass man mit wenig Geld viel erreichen kann", sagt Legge.

Bei ihrem neuen Vorhaben setzen die Mitglieder auf Spenden: Während Stadt und Kreis jüngst das Aus für den Marburger Literaturpreis beschlossen haben, wird die Literarische Gesellschaft ab 2007 einen neuen Literaturpreis vergeben. Gefördert werden sollen "international bekannte Autoren", die bereits in Marburg zu Gast waren.

Das Literaturbüro in der Aulgasse 4 ist dienstags, mittwochs und freitags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter www.literatur-um-11.de

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 18. Mai 2006

Stadt der Experimente

Ein Wochenende, zwei Festivals: während bei den "Wissenschaftstagen" komplexe Forschung etwa beim zuckersüßen Science-Camp spielerisch vermittelt wird, beleuchtet das "Eigenart"-Festival die kulturelle Vielfalt von Gießens Nordstadt.

Die bei Straßenfesten so beliebte Bratwurst bekommt in Gießen High-Tec-Konkurrenz: Auf der "Straße der Experimente" kann bei dem Wissenschaftsfestival entlang der Liebigstraße auch Spaghetti auf Knopfdruck geschlemmt werden. Die Software für den einzigartigen vollautomatischen Spaghetti-Kocher, bei dem das Ergebnis immer "al dente" ist, hat ein Fachhochschul-Student programmiert.

Insgesamt mehr als drei Dutzend Veranstaltungen sollen bei den "Wissenschaftstagen" vom 19. bis 21. Mai komplexe Forschung spielerisch den Besuchern nahe bringen. "Bürger und Institutionen machen Experimente für Bürger", kündigt Mathematikum-Leiter Albrecht Beutelspacher an. "Pluralität ist Programm."

Das Museum organisiert die in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindenden Wissenschaftstage in Zusammenarbeit mit der Stadt und den beiden Gießener Hochschulen. Außerdem sind neben der Gießener Justus-Liebig-Universität und der Fachhochschule Gießen-Friedberg auch Kindergartengruppen, Schulen, Firmen, Vereine und Privatpersonen dem Aufruf gefolgt, ausgefallene Versuche mit Bezug zum Alltag zu präsentieren. Auf dem Programm stehen etwa Spiele mit der Schwerkraft, chemische Farbenspiele, (Mikro-)Wellenversuche, Kindervorlesungen, verschiedene Experimentvorführungen, darunter mit dem Wissenschaftspädagogen und Autor Kay Spreckelsen ("Das U-Boot in der Limoflasche"), und Mitmach-Aktionen. Am Samstag findet im Hof des Mathematikums zudem ein Gottesdienst unter dem Motto "Kann ich mit Gott experimentieren?" statt.

Im benachbarten Liebig-Museum werden Führungen "a' la Liebig" angeboten, in denen ebenso wissenschaftliche Praxis erfahrbar werden soll. Schüler der 3. bis 6. Klasse können beim "Zuckersüßen Science Camps" nur wenige hundert Meter entfernt in der Kindertagesstätte St. Vincent. erfahren, was Kohlenhydrate mit Kohlen zu tun haben, oder wie man verschiedene Zuckerarten unterscheiden kann.

Hinter allen alltäglichen Dingen steckt Wissenschaft", sagte Oliver Behnecke von der Justus-Liebig-Universität. Ein Ziel der Veranstaltung sei es auch, "die Gemeinschaft zu sensibilisieren, dass es wichtig ist, für Wissenschaft Geld auszugeben". Behnecke sieht die "Wissenschaftstage" auch als kleinen Vorgeschmack auf ein Jubiläum, dass Gießen im kommenden Jahr erwartet: Dann feiert die Universität nämlich ihr 400-jähriges Bestehen.

Während rund um die Liebigstraße Wissenschaft und Forschung im Mittelpunkt steht, beleuchtet das "Eigenart"-Festival in der Nordstadt am Samstag die kulturelle Vielfalt des Stadtteils, in dem Menschen aus über 30 ethnischen Gruppen leben. "Wir hoffen natürlich auch auf interessierte Pendler vom Mathematikum", sagt Sozialarbeiterin Petra Goldack von Nordstadtbüro. Ein vierhändiges Klavierkonzert mit Rachmaninow steht ebenso auf dem Programm wie der Jugendclub Tanz des Stadttheaters oder die internationale Street-Band "Marching Bandits". Auch der Alevitische Kulturverein und NO TV (das Nordstadtfernsehen) sind aktiv beteiligt. "Wir freuen uns, dass das Eigenart-Festival in so relativ kurzer Zeit quasi einkleines, zartes Markenzeichen geworden ist", so Goldack.

Die Anzahl der Teilnehmer ist in den vergangenen drei Jahren seit der Erstauflage des Festivals stetig gewachsen, doch insgesamt steht "Eigenart", das aus dem Bundesförderprogramm "Soziale Stadt – Giessener Nordstadt" finanziert wird, unter keinen guten Stern. Schon 2009, spätestens 2010 sollen die öffentlichen Gelder voraussichtlich nicht mehr fließen. Eine professionelle Anlauf- und Organisationsstelle wird es dann höchstwahrscheinlich nicht mehr geben.

Dabei brauchen Gruppen wie Initiative "Es passiert was" der Freien Gießener Kulturschaffenden, die das Festival zusammen mit dem der Trägerverbund Gießener Nordstadt e.V. präsentiert, öffentliche Gelder, um ihre soziokulturell sinnvollen Projekte voranzutreiben und zu realisieren.

Infos zu den Wissenschaftstagen unter www.wissen-schaft-stadt.de. Infos zum Eigenart-Festival unter www.es-passiert-was.de.

Georg Kronenberg
Rüdiger Oberschür



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