Express Online: Thema der Woche | 25. Mai 2006

Rote Karte

Nächste Termine:
Do 25. Mai – So 28. Mai: Fahrradtour von Kassel nach Wiesbaden in mehreren Etappen unter dem Motto "Tour de France – Soziale Bewegung in Hessen" (Weiterfahrt in Marburg Fr 10 Uhr am Hörsaalgebäude, in Gi Sa 10 Uhr am Phil I)
Mo 29. Mai – Do 8. Juni: Campus Camping an der Uni Gießen (Protest- und Bildungscamp vor dem Phil I)
Mi 31. Mai: Demonstration in Gießen (Treffpunkt um 13 Uhr am Uni-Hauptgebäude)
kro
Im Kampf gegen Studiengebühren sind Marburgs Studierende bisher die Aktivsten in Hessen. Nach mehreren Demonstrationen und Blockaden der Stadtautobahn wurde am Montag das Verwaltungsgebäude der Philipps-Uni besetzt.

Auf dem Schreibtisch von Marburgs Uni-Präsident Volker Nienhaus prangt am Montagnachmittag unübersehbar die rote Karte für Roland Koch. Vor der Tür zum Präsidenten-Büro hantiert Pädagogik-Student Niels mit Elektrokochern, großen Kochtöpfen und einem bis zum Rand mit Lebensmitteln gefüllten Einkaufswagen und richtet auf dem Flur eine improvisierte Küche ein. "Auf dem Speiseplan heute Abend steht Reis mit Gemüse", sagt Niels, der sich auch schon einen guten Platz für die Nacht ausgesucht hat. "Ich will unbedingt im Präsidenten-Büro schlafen. Das ist großartig." Zwei Sekretärinnen bauen derweil vorsichtshalber den Computer im Vorzimmer von Nienhaus ab. Der einzige nicht mit Tischen und Schränken verbarrikadierte Eingang der Uni-Verwaltung wird von einer handvoll Studenten bewacht. Über der Tür haben sie in Erinnerung an die jüngsten Proteste in Frankreich die Trikolore aufgehängt.

Der Verwaltungsbetrieb ist am Montagnachmittag vollständig zum Erliegen gekommen, nachdem mehrere hundert Studierende im Anschluss einer öffentlichen Senatssitzung zum Thema Studiengebühren das Verwaltungsgebäude der Uni besetzt haben. Der Grund: Zwar hatte sich der Uni-Senat bei der Sitzung im Audimax gegen die Einführung von allgemeinen Studiengebühren ausgesprochen. Uni-Präsident Nienhaus hatte aber angekündigt, er wolle die Mehrheitsentscheidung nicht vor der Landesregierung vertreten und keinen Hehl daraus gemacht, dass er Studiengebühren nicht generell ablehne. "Ehrliches Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Studierenden hat Herr Nienhaus nie gezeigt. Wir lassen uns nicht gefallen, dass er alleine über unsere Köpfe hinweg entscheidet, was an unserer Uni passiert", sagt AStA-Vorsitzende Lena Behrendes.

Die Besetzung sei deshalb "die logische Konsequenz", unterstreicht eine 24-jährige Soziologiestudentin, die im Foyer ihren Schafsack ausrollt. "Wir müssen weiter Druck machen, und etwa auch bei den Schülern für unsere Argumente gegen Studiengebühren werben", ist sie überzeugt. "Ich habe schon 3.000 Euro Langzeit-Studiengebühren zahlen müssen", ärgert sich ein 30-jähriger Student der Politikwissenschaften. "Da kann man nur zynisch werden. Ich habe auch nichts davon mitgekriegt, dass sich die Lehre seit der Einführung der Langzeit-Studiengebühren verbessert haben soll."

Mit zwei Kommilitonen diskutiert er im Treppenhaus, wie die Chancen stehen, das von Hessens CDU-Regierung geplante Studiengebühren-Gesetz zu kippen. Sicher, die Demonstrationen gegen die "Operation Sichere Zukunft" und den damit verbundenen massiven Sozialabbau oder die Langzeitstudiengebühren hätten keine Wirkung gezeigt. "Aber jetzt haben wir eine neue Qualität der Proteste erreicht – zum Beispiel mit der Blockade der Autobahn in Frankfurt." Und Soziologiestudentin Yvonne findet, "die Sensibilität in der Bevölkerung und die Ablehnung der Kahlschlagspolitik der Koch-Regierung hat zugenommen."

Ein Abiturient, der bei der Hausbesetzung spontan mitmacht, ist weniger optimistisch: "Es steht für mich außer Frage, dass ich mich mit den Studis solidarisiere. Aber dass die Proteste bei dieser Landesregierung etwas bewirken, glaube ich nicht."

AStA-Vorsitzende Lena Behrendes ist da freilich anderer Meinung: "Wir haben es von Anfang an geschafft, die Proteste in die Öffentlichkeit zu tragen, etwa mit der ersten Blockade der Verwaltung vor zwei Wochen." Die anstehende Fußball-WM sei ein "wesentlicher Teil in der Strategie". Bis dahin ließen sich die Protestaktionen locker durchhalten. Behrendes: "Mal sehen, was die CDU-Regierung macht, wenn die internationale Presse über die anhaltende Protestwelle berichtet."

Georg Kronenberg



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