Express Online: Thema der Woche | 22. Juni 2006

Die Briten sind da

Die Welt soll zwar bei der WM zu Gast bei Freunden sein. Einem kleinen Dorf im Vogelsberg ist das mit den Fußball-Fans aber trotzdem nicht geheuer.

Der Betreiber des dortigen Campingplatzes hat seit einem Jahr übers Internet Fußballfans aus aller Herren Länder zusammengetrommelt: zum "World-Cup-Camping" mit Videoleinwand, Kickerturnier, Shuttlebussen zu den Stadien und allem, was sonst dazugehört.

Seit WM-Start ist der Campingplatz von Groß-Eichen, einem Ortsteil der Gemeinde Mücke im Vogelsbergkreis, nun Quartier für tausend Fans. Aus Südafrika, Brasilien, Spanien, Australien. Vor allem aber aus England. "Das sind ungefähr 800", schätzt Günther Hartenstein. Die Bewohner von Groß-Eichen stöhnen. Sie sind selbst gerade mal tausend – und dann genauso viele Fußballfans von außerhalb, in einem Ort, wo die Älteren genauer hinschauen, wenn das Autokennzeichen nicht mit VB beginnt.

Groß-Eichen ist ein beschauliches Dorf abseits vom Schuss, mit Männergesangsverein, Gefrierhaus und einer Fußballelf, die zuletzt in der Kreisliga B 6:2 verloren hat. Remmidemmi gibt's nur bei der Kirmes. Vor ihrem inneren Auge haben viele Dorfbewohner das Drohende bereits in Szene gesetzt: Heerscharen englischer Hooligans, die mit gehörig Bier intus gröhlend in ihre Dorfidylle einfallen. In Vorgärten pinkeln. Blumenbeete zertreten. Mülltonnen umwerfen. Und Dorfbewohner belästigen. Aus Groß-Eichen, befürchten sie, werde dann Hooliganhausen. Bei der Polizei herrscht darum "absolut höchste Sicherheitsstufe", sagt Einsatzleiter Matthias Weber. Die Beamten sind im Dorfbild präsent. Das Dorfgemeinsschaftshaus ist für vier Wochen zur Einsatzzentrale geworden. Auf dem Parkplatz steht ein halbes Dutzend Polizeibusse bereit, junge Beamte in T-Shirt und Sonnenbrille patrouillieren entlang der kurvigen Hauptstraße zwischen Fachwerkhäusern und Bauernhöfen. "Bisher hat nicht einmal jemand falsch geparkt", sagt einer. Für den Notfall seien aber englische Kollegen angefordert, heißt es bei der Polizeidirektion Vogelsberg. Ein Rentner, der seinen Hund Gassi führt, meint: "Die Polizei gibt Sicherheit." Trotzdem verspürten die meisten im Dorf "ein Unbehagen", merkt eine Frau an. Bei 800 Engländern könnten sich immer auch Hooligans unter die Fans mischen.

In einer Garage verpackt derweil Klaus Krumnay Kartons. Der 45-Jährige erzählt, dass sogar überlegt wurde, den in zwei Wochen anstehenden Höhepunkt im dörflichen Jahr, die Kirmes, abzusagen. Jetzt findet sie statt. "Aber meine 15 Jahre alte Tochter lasse ich in diesem Jahr nicht alleine auf den Diskoabend", sagt er. Vor dem Supermarkt halten zwei Motorräder mit gelben britischen Nummernschildern. Der Leiter des Supermarkts, Ernst Fuchs, sieht den Massenbesuch mit kaufmännischen Augen. "Hello", grüßt er die beiden Fahrer und wendet sich einer Euro-Palette voller Dosen Billigbier zu: "Die habe ich zusätzlich geordert. Hoffentlich reicht's bis morgen." Englische Zeitungen hat er auch bestellt.

Auf dem Fan-Campingplatz gleicht der Eingang einer Sicherheitsschleuse, polnische Wachmänner bauen sich breitschultrig davor auf. Dem Reporter und dem Fotografen wird zunächst beharrlich der Zutritt verweigert. Die Polizei wolle keine Presse auf dem Gelände, behauptet eine junge Frau. Schließlich werden die Journalisten auf Schritt und Tritt begleitet.

Platzbetreiber Hartenstein erklärt: "Das Camping ist eine geschlossene Veranstaltung, das sind friedliche Fans. Hools und Kriminelle kommen hier nicht rein." Drinnen aalen sich junge Engländer entspannt vor ihren Zelten in der Sonne. Ohne Tätowierungen auf der Haut, dafür schon mit gehörigem Sonnenbrand. Sie spielen Karten, schäkern mit ihren Freundinnen, trinken ihr Licher-Bier, und auf die Frage nach ihrem Namen lachen sie: "Hooligan one, Hooligan two, Hooligan three."

Stefan Säemann



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