Express Online: Thema der Woche | 6. Juli 2006

Ausbildungs-Kick

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt bleibt prekär. Um bei Betrieben für mehr Lehrstellen zu werben, hat die Arbeitsagentur Marburg die Wetzlarer Fußball-Weltmeisterin Nia Künzer zur "WM-Botschafterin für Ausbildung" ernannt.

Das 1:0 kam in der zwölften Minute. Da erzielte Fußball-Weltmeisterin Nia Künzer beim Besuch der Firma Elektro-Rühl im mittelhessischen Lohra-Kirchvers den ersten wichtigen Treffer des Tages. Die "WM-Botschafterin für Ausbildung", zu der die Fußballerin von der Marburger Agentur für Arbeit ernannt worden ist, überzeugte Firmenchef Wilfried Rühle, der nun statt der geplanten zwei Azubistellen für Elektroinstallateure drei einrichtet. "Wir haben immer einen Bedarf. Lehrlinge sind die Zukunft unseres Unternehmens", sagt Rühl. Sein Geschäftspartner und Bruder bedauert, dass es zwar an Bewerbungen nicht mangele, jedoch an der Qualität der Bewerber. "Seit Jahren sinkt die Zahl geeigneter Azubis." Die Firma Rühl war nur das erste von acht Unternehmen im Marburger Land, bei denen Künzer und ihr Team von der Arbeitsagentur vorbeischauten, um kurz vor Abpfiff der Bewerbungsphase dem ein oder anderen Lehrstellen-Bewerber noch zu einem Sieg zu verhelfen. Es folgten die Stadtverwaltung Marburg, eine Friseurkette, ein Institut der Universität, ein Hotel, ein Schraubenproduzent und der Technologie-Transfer Mittelhessen. Endstand der Ausbildungsplatz-Akquise: 13 zusätzliche Lehrstellen. "Wow", freut sich Künzer, "wir hatten mit maximal neun gerechnet."

Auch Eberhard Völzing von der Arbeitsagentur Marburg freut sich über die Bilanz. "Nia steht nicht nur für außergewöhnliche Erfolge im Frauenfußball. Sie hat bei unserer Werbetour ihr soziales Engagement, ihre Zielstrebigkeit und ihre Persönlichkeit in die Waagschale geworfen." Sie tauge als Vorbild: "Trotz vier schwerer Kreuzbandverletzungen ist sie auf den Fußballplatz zurückkehrt", sagt Völzing. Künzer blieb bisher vom Bewerbungsprocedere verschont. Noch studiert sie nämlich Pädagogik und Sport. "Nur für ein Praktikum musste ich mal ein Anschreiben und einen Lebenslauf verfassen", erinnert sie sich.

Die Lehrstellen-Situation in Mittelhessen scheint sich nur auf den ersten Blick zu entspannen. Alle Arbeitsagenturen und die IHKs der Region melden bei einer Umfrage ein Plus an Lehrstellen. Die Region folgt damit dem Trend, den der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern, Joachim von Harbou, so beschreibt: "Die Zahl der Ausbildungsplätze in Hessen entwickelt sich sehr erfreulich." Für Marburg beziffert die Arbeitsagentur den Anstieg auf gut ein Fünftel – die Stadt liegt damit hessenweit an der Spitze. Andererseits wird diese Entwicklung durch eine steigende Bewerberzahl getrübt. "In nahezu allen Berufen ist die Nachfrage höher als das gemeldete Angebot", sagt Horst Hahn von der Arbeitsagentur Gießen. In Gießen gibt es für 4.500 Bewerber gerade mal 2.200 Lehrstellen, in Marburg sind es 1.967 junge Menschen für 1.438 Stellen.

Viele Lehrstellen werden in den nächsten zwei bis drei Monaten vergeben. Schulabgänger sollen darum ihre Bewerbungen weiter intensivieren", heißt es bei der Arbeitsgemeinschaft der IHKs. "Die Ausbildung junger Menschen darf man nicht alleine dem Markt überlassen", sagt Axel Steinbeiß von der IHK Gießen-Friedberg. Zugleich müssten Jugendliche sich frühzeitiger mit ihrer Berufswahl befassen.

Stefan Säemann



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