Express Online: Thema der Woche | 31. August 2006

Fälschern auf der Spur

Fälschungen, Plagiate und Forschungsbehinderungen: Als Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat der Marburger Physiker Siegfried Großmann 160 Fälle abseits der wissenschaftlichen Redlichkeit bearbeitet. Jetzt erfüllt er diese Aufgabe für die Philipps-Universität.

Der Fall des Krebsforscherehepaars Friedhelm Herrmann und Marion Brach gilt als "Sündenfall der deutschen Forschung". Über Jahre hinweg hatte das Duo Labordaten gefälscht, Tabellen erfunden und 94 wissenschaftliche Arbeiten mit gefälschten Daten veröffentlicht. Erst 1997 fielen die Manipulationen auf, die Deutschland den bislang größten Wissenschaftsskandal bescherten. Zutiefst aufgeschreckt war auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Herrmann und Brach gefördert und als Gutachter in ihre Gremien integriert hatte.

Um solche Fälle in Zukunft zu vermeiden, setzte die Organisation die DFG-Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" und die bundesweit ersten drei Ombudsleute zum Thema ein. Mit dabei war der damals gerade emeritierte Marburger Physikprofessor Siegfried Großmann. Der Gedanke dahinter: "Wenn irgendwo betrogen wird, merken dies die engeren Mitarbeiter am ehesten", sagt der Physiker. Doch Doktoranden und Habilitanden brauchen Ansprechpartner, von denen sie nicht abhängig sind. Schließlich sei es für eine Fakultät schwerer, sich mit einem Ombudsmann anzulegen als mit einem Doktoranden.

160 Fälle hat Großmann bis 2005 gemeinsam mit seinen Kollegen bearbeitet. Immerhin: "Fälschungen von der Preisklasse Herrmann und Brach, die sind uns überhaupt nicht vorgetragen worden." Dass aber Daten geschönt oder fehlende Daten hinzuerfunden wurden, kam doch in etwa 35 Fällen vor. Wenn sich die Ombudsleute dahinter klemmten, waren die Unterlagen indes oft nicht mehr auffindbar, einem Hochwasser oder einem anderen Unglück zum Opfer gefallen. Großmann: "Es wimmelte von falschen Entschuldigungen." Wissenschaftlich seien diese zwar keine Ausrede, das Verfahren bleibe dann aber in der Schwebe. In der Mehrzahl der Fälle konnte das Team erfolgreich eingreifen, wobei die ganz schwerwiegenden Fälle an eine Untersuchungskommission der DFG weitergeleitet wurden, die Sanktionen wie Sperrung der Fördergelder verhängen konnte.

Grundsätzlich behandeln die Ombudsleute ihre Informationen vertraulich. Deswegen schildern sie auch keine genauen Beispiele. Nur in Absprache – wenn der Fall nicht anders aufzuklären ist – decken sie die Anonymität ihres Gesprächspartners auf. Dies ist zum Beispiel in den überraschend häufigen Fällen von Forschungsbehinderung notwendig. So beschwerten sich insgesamt 27 Mitarbeiter, dass ihnen systematisch der Zugang zu ihren Labors, ihren Versuchstieren oder Geräten verweigert werde. Manche konnten auch nicht mehr an ihre im Computer gespeicherten Daten heran. "Die Betroffenen waren in einer ganz schwierigen, eigentlich aussichtslosen Lage", erzählt Großmann. Schmerzlich empfunden hat er indes, dass er die Mitarbeiter trotzdem nicht immer gut genug schützen konnte, sie also doch Nachteile erfahren mussten. In einem nie öffentlich gewordenen Fall von Datenmanipulation trat der Ombudsmann einer Universität sogar zurück, weil er etwas aufgedeckt hatte, was die Hochschule dann aber nicht weiter verfolgte.

Mäßig oft waren Plagiatsvorwürfe – etwa wenn die Publikation eines ehemaligen Mitarbeiters ohne dessen Namen erschien. Dass Studierende ihre Seminararbeiten schlicht aus dem Internet abschreiben, ohne die Quelle zu nennen, kommt nach Großmanns Erfahrung aber häufig vor. Dazu wurden die Ombudsleute aber nicht angerufen.

Erstaunlich oft wurde das aus einem Mediziner, einem Juristen und Großmann bestehende Team auch wegen Fragen der Autorschaft angerufen. Gestritten wurde etwa um die Erstautorschaft oder die "Unsitte", dass Institutsleiter grundsätzlich als Mitautoren genannt werden.

Vor einem Jahr hat der renommierte Physiker seinen Posten bei der DFG abgegeben. Stattdessen geht der 76-Jährige nun dem wissenschaftlichen Fehlverhalten an der Marburger Philipps-Universität nach, in der er bislang fünf Fälle bearbeitet hat. Dass die Zahl der unredlichen Forscher steigt, kann er aber nicht bestätigen: "Die überwiegende Mehrzahl verhält schon sehr ordentlich", sagt Großmann.

Der Ombudsmann der Philipps-Universität ist telefonisch unter 06421-2822049 sowie per E-Mail unter grossmann@physik.uni-marburg.de zu erreichen.

Gesa Coordes



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