Express Online: Thema der Woche | 21. September 2006

"Die haben Kreide gefressen"

Rechtsextreme versuchen zunehmend mit bravem, bürgerlichen Auftreten neue Anhänger für ihre verfassungsfeindlichen Ansichten zu gewinnen. Die Polizei hält mit einer jetzt gestarteten Gemeinschaftsaktion gegen Rechtsextremismus dagegen.

Die netten jungen Leute engagieren sich im Dorf bei der Freiwilligen Feuerwehr, in der Schülervertretung, organisieren Jugendfreizeiten oder Straßenfeste, singen in Altenheimen, und machen bei sozialen Projekten mit. Beispiele, die Siegward Roth, Jugendkoordinater im Polizeipräsidium Mittelhessen, nur zu gut kennt. Denn nach dem NPD-Verbotsverfahren habe es einen "klaren Strategiewechsel" in der rechten Szene gegeben, weiß Roth: "Die haben Kreide gefressen."

Offener Rassismus werde zunehmend vermieden, unterstreicht auch der Sozialwissenschaftler Wilfried Rexrodt, der beim hessischen Landeskriminalamt das Programm "Ikarus" für Aussteiger aus der rechten Szene betreut. Stattdessen versuchten die neuen Rechten als "Wölfe im Schafspelz" mit einem eher "klassischen" Erscheinungsbild, der Nutzung des Internets oder Verbreitung rechtsextremer Musik Menschen für verfassungsfeindlichen Ansichten gewinnen. Roth: "Dabei geben sie sich bürgerlich und versuchen, sich auf verstellte Weise Zugang zu vorwiegend jungen Menschen zu verschaffen." So sei auch die Schule als Handlungsfeld der rechtsextremistischen Szene erkannt worden – nicht zuletzt die Schulhof-CD beweise diese Ausrichtung.

Den Jugendlichen würde beispielsweise eine Berufsberatung angeboten oder Hilfe bei der Lehrstellensuche, berichtet Ikarus-Leiter Rexrodth. Selbst Zwölf- und Dreizehnjährige würden von Rechtsextremen inzwischen umworben.

Um dem neuen rechtsextremen "Kampf um Schulen, Vereinen und Dörfer" zu begegnen hat das Gießener Polizeipräsidiums deshalb in Zusammenarbeit mit dem Aussteigerprogramm Ikarus und dem Staatlichen Schulamt ein umfangreiches Informations- und Aufklärungskonzept entwickelt.

Ziel ist, auf die neuen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus aufmerksam zu machen und die damit einher gehenden gestiegenen Gefahren aufzeigen. So sollen etwa Lehrer unter anderem mit Fortbildungen sensibilisiert werden, genauer hinzuschauen: Wenn ein Schüler beispielsweise neuerdings eine Vorliebe für schwarze T Shirts mit den aufgedrücktem Buchstaben "WAW" entwickelt, hat das wenig mit Mode und viel mit rechter Gesinnung zu tun: "WAW steht für weißer arischer Widerstand", erklärt Polizei-Jugendkoordinater Siegward Roth.

Deshalb ist ein Teil des Informations- und Aufklärungskonzepts, eine bessere Vernetzung von Schule, Jugend- und Sozialarbeit, den Kommunen mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei herzustellen. "Wenn dem Lehrer etwa die T-Shirts auffallen, und er nicht genau weiß, was es damit auf sich hat, kann er beim Sozialarbeiter oder der Polizei anrufen, und fragen", berichtet Roth.

Gerade die intensive Zusammenarbeit und das gemeinsame Handeln aller beteiligten Personen und Stellen ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Prävention und Intervention gegen Rechtsextremismus in unseren Städten und Gemeinden. Diese Schwerpunktaktion und die zusätzlichen repressiven Maßnahmen der mittelhessischen Polizei und der Justiz gegen jegliche extremistischen Bestrebungen machen deutlich, dass auch weiterhin gilt: Mittelhessen ist kein Tummelplatz für Extremisten", sagt Polizeipräsident Manfred Schweizer.

Das Aktionsprogramm ist am 14. September mit einer Schulleiterdienstversammlung in der Theo-Koch-Schule in Grünberg gestartet. Polizei, Schulamt und IKARus informierten dabei über die neueren Entwicklungen und die Gefahren des Rechtsextremismus und thematisierte auch Besonderheiten in Mittelhessen Vergleichbare Veranstaltungen im Raum Marburg sind geplant.

Georg Kronenberg



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