Express Online: Thema der Woche | 28. September 2006

Guter Riecher

Im Landeslabor Gießen wird mutmaßliches Gammelfleisch seziert – mit einfachen Geruchs- und Geschmackstests, aber auch mit mikrobiologischen Untersuchungen.

Giessen. Volker Stojanovic beugt sich über den Teller und schnuppert kräftig an einem rosaroten Klumpen. Das rohe Schweinefleisch vor ihm steht unter Gammelfleisch-Verdacht und er muss nun prüfen, ob dieser zutrifft oder nicht. Denn der Herr im Weißkittel ist Chefkontrolleur für tierische Lebensmittel in der Zentrale des Hessischen Landeslabors in Gießen. Die Veterinämter sind die Fahnder vor Ort, die Kühlhäuser durchsuchen und Stichproben verdächtigen Fleisches eintüten. Das Team um Stojanovic dagegen bleibt wie Kriminalisten im Hintergrund und seziert die Proben in seinen Labors.

Stojanovic hebt den Kopf und erklärt: "Jedes gute Fleisch hat nicht nur seinen eigenen Geschmack, sondern auch einen ihm typischen Geruch." Oft verrate bereits der Geruch, ob ein Stück Fleisch noch genießbar sei. Da das Geruchsempfinden sich aber von Mitarbeiter zu Mitarbeiter individuell unterscheide, der eine nichts riecht, während der andere ekelverzerrt die Nase rümpft, müssten bei der Schnupperprobe bis zu drei Kollegen antreten. Sechs Nasenlöcher riechen eben mehr als zwei. Reicht das nicht aus, landet das mutmaßliche Gammelfleisch in der Mikrowelle. "Die Hitze löst die Gerüche aus dem Fleisch, man riecht sie dann besser", erklärt Stojanovic.

Manchmal hilft ein guter Riecher aber auch dann nicht weiter: "In Zweifelsfällen beißen wir schon mal rein. Danach spülen wir aber ordentlich den Mund aus". Und mit Messer und Gabel wid die Konsistenz geprüft. Wichtig, so Stojanovic, ist aber zunächst der optische Eindruck: Wie eine Hausfrau an der Fleischtheke im Supermarkt müssen er und sein Team das Aussehen betrachten. Da hingehend, ob das Schweinefleisch seine gesunde rosarote Färbung hat und die Muskelfasern weiß sind. Oder ob der Verfall bereits sichtbare Spuren hinterlassen hat:gräuliche Muskelfaser, einen schmierigen Film auf der Oberfläche oder einen grün-silbrigen Schimmer. Stojanovic dreht und neigt den Teller vor seinen Augen: "Dieses Stück Fleisch hat die sensorische Prüfung überstanden".

Währenddessen wird eine bissgroße Probe, die aus dem Fleisch herausgeschnitten wurde, einige Räume weiter bei der "mikrobiologischen Prüfung" seziert. Gesucht werden Erreger, die Nahrungsmittel verderben lassen. "Die sind leichter zu finden, da sie wie im Falle von Schimmel das Gewebe beschädigen." Gesucht werden aber auch sogenannte pathogene Keime, die viel heimtückischer sind, weil sie sich einnisten, ohne eine Speise sichtbar zu verändern, Salmonellen zum Beispiel. Häufig fänden sich Fäkalbakterien, welche die Haltbarkeit eines Produktesdeutlich reduzieren, weiß Stojanovic. "Das Problem beginnt im Schlachthaus. Wenn versehentlich der Darm aufgeschnitten wird, gelangen Keime durch Abspritzwasser in umliegendes Gewebe." Bei den beanstandeten Gammelfleischproben stoße sein Team desöfteren auf solche Erreger. Die mikrobiologischen Untersuchungen seien die aufwendigsten, bei Gammelfleisch lägen die Ergbnisse in der Regel nach vier, fünf Tagen vor.

Für die Wissenschaftler des Landeslabors gibt es auch eine Arbeit vor und nach dem Gammelfleisch-Skandal. Rund 400 Proben werden monatlich auf ihre Essbarkeit hin überprüft. "Die Liste unserer Testprodukte spiegelt den Warenkatalog eines Supermarkts wieder. Was gerade untersucht wird ist auch saisonabhängig: "Jetzt im Sommer ging es vor allem um Speiseis und Grillwaren wie marinierte Steaks", so der oberste Lebensmittelwächter. Ein Risiko-Nahrungsmittel sei Hackfleisch, da es oft direkt kalt verzehrt werde. Übrigens könnten auch Privatpersonen Essensproben zur kostenfreien Überprüfung abgeben. "23 Prozent aller untersuchten Lebensmittel werden von uns beanstandet", verrät Stojanovic und merkt sogleich an: "überwiegend wegen mangelhafter Kennzeichung, weil etwa die Inhaltsangabe überklebt ist, zu wenige oder zu viele Zutaten drauf stehen. Lebensmittelskandale gebe es immer wieder, erst im Frühjahr bei Wildfleisch. "Aber einen in diesem Ausmaß wie jetzt hatte ich in meinen 30 Berufsjahren noch nie zuvor", betont Stojanovic.

Stefan Säemann



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