Express Online: Thema der Woche | 9. November 2006

1763 mal 9853 macht 17370839

Ergebnisse
Gesamtsieg: 1. Robert Fountain (England) 2. Jan van Koningsveld (Holland) 3. Gerd Mittring (Deutschland)
Jüngste Teilnehmer: die neunjährige Kinjal Divesh Shah (Indien)
Älterster Teilnehmer: der 67jährige Willem Bouman (Holland)
Sieger Addition: Jorge Arturo Mendoza Huertas (Peru)
Sieger Multiplikation: Alberto Coto-García (Spanien)
Sieger Wurzelziehen: Robert Fountain (England)
Sieger Kalenderrechnen: Matthias Kesselschläger (Deutschland)
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Addieren wie die Asse und Wurzelziehen auf Weltniveau: Bei der Weltmeisterschaft im Kopfrechnen im Mathematikum gewann der britische Kernphysiker Robert Fountain zum zweiten Mal in Folge.

Sie können sich auf ihren Kopf verlassen. Jonglieren mit Nonilliarden und Oktilliarden -Zahlen, die selbst der Duden nicht kennt. Zehnstellige Zahlen addieren sie im Kopf schneller zusammen, als die meisten mit dem Taschenrechner.

Rüdiger Gamm zum Beispiel. Aus dem Stegreif errechnet der 35-Jährige die hundertste Potenz einer zweistelligen Zahl und gibt das 164-stellige Ergebnis fehlerfrei wieder. Matthias Kesselschläger liefert zu jedem beliebigen Datum auf Knopfdruck den dazugehörigen Wochentag. Und die elfjährige Pooja aus Indien multipliziert eben mal im Kopf: 1763 mal 9853 macht 17370839.

Rüdiger, Matthias,Pooja – drei von 26 Superhirnen aus zwölf Nationen, die an der Weltmeisterschaft im Kopfrechnen am Samstag im Gießener Mathematikum teilnahmen und sich am Vorabend in ihren Königsdisziplinen warmrechneten. In vier Wertungen traten die Blitzrechner im Alter von neun bis 67 Jahren, darunter Reifenhändler, Atomphysiker und Sportreporter, gegeneinander und gegen die Stoppuhr an: sie addierten zehn zehnstellige Zahlen, multiplizierten zwei achtstellige Zahlen, zogen Quadratwurzeln bis auf die achte Stelle genau und bestimmten innerhalb einer Minute die Wochentage zu 50 willkürlich ausgewählten Daten der Jahre 1600 bis 2100. Alles im Kopf – ohne Taschenrechner, ohne Rechenschieber, selbst ohne Zwischenergebnisse zu notieren.

Die kleine Pooja mit dem schwarzen Pagenschnitt und der glitzernden Pailletenjacke findet: "Mathe ist lustig. Ich spiele lieber mit Zahlen als mit Puppen." Sie wirkt entspannt, scheint eher ein Bild zu malen als Quadratwurzeln zu ziehen.

Eine Reihe dahinter rauft sich Gerd Mittring die Haare. Hektisch zeichnet er mit dem Zeigefinger imaginäre Zahlen in die Luft. "Das ist keine ausgetüftelte Merktechnik, sondern pure Verzweiflung", gesteht der mehrfache Weltrekordhalter und Großmeister im Kopfrechnen. "Mir schwirrten ständig die Zwischenergebnisse der vorgehenden Aufgaben im Kopf umher."

Multiplikationsmeister Alberto Coto García schaut gequält: "Das ist ein enormer Druck. Bis zu 2500 Rechenoperationen muss ich mental bearbeiten."

Solche Hochleistungen im Rechnen ließen sich trainieren, ermuntert WM-Veranstalter Ralf Laue zum lustigen Kopfrechnen. "In Zeiten von Computern und Taschenrechnern ist Kopfrechnen leider aus der Mode. Die WM soll hier gegenwirken." Selbst Superhirne könnten sich abstrakte Zahlen nicht ohne weiteres einbläuen. Man müsse sie in plastische, möglichst skurrile Bilder übersetzen. Aus Zahlen würden zunächst Buchstaben, aus Buchstaben dann Wörter, aus Wörtern schließlich eine Geschichte. Ulrich Voigt hat die ersten 4000 Ziffern der Zahl Pi in einer Geschichte über Mata Hari untergebracht. Und Boris-Nikolai Konrad erzählt: "Ich sehe keine Zahlen. In meinem Kopf enstehen ganze Tagträume." Der 22-jährige "Wetten-dass"-erfahrene Physikstudent merkt sich binnen kurzer Zeit 52 Spielkarten in ihrer Reihenfolge. Dafür begibt er sich auf einen geistigen Spaziergang von seinem Schlafzimmer zum Nachbarhaus, Ereignisse auf dem Weg dazwischen stehen für die einzelnen Karten. "Kreuz steht für Baum und Bube für Dieb. Aus Kreuzbube wird so ein Dieb, der um den Baum schleicht".

Kopfrechnen, ob kleines Einmaleins oder komplexe Aufgaben, sei Rechnen, Kombinationsgabe und zu einem beachtlichen Teil Auswendiglernen ganzer Zahlengruppen, erklärt Wurzelzieher Gramm. "Vor allem üben, üben, üben", merkt Robert Foutian an. Der Kernphysiker aus England muss es wissen. Am Samstag wurde er zum zweiten Mal in Folge zum weltbesten Kopfrechner.

Stefan Säemann



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