Express Online: Editorial | 31. Mai 2007

Ghostwriter

Ach, Kinder, hört doch auf, Euch über die Studiengebühren zu beschweren. Sieht denn keiner die neuen Märkte hinter der Innovation?

Einer Berliner Professorin passierte folgendes: Eine herausragende, individuelle und spezialisierte Hausarbeit landet auf ihrem Schreibtisch. Die Professorin bestellt die Studentin zum Loben in ihre Sprechstunde, diagnostiziert aber schnell völlige Ahnungslosigkeit und erfährt unter einem Strom von Tränen folgende Tragödie:

Zuerst musste die Studentin jobben, um studieren zu können. Dann stieg der Lebensstandard, und sie jobbte mehr, ohne jedoch weiter studieren zu können. Da sie aber Titel und Ruhm unbedingt braucht, legte sie jobmäßig noch eins drauf und beschäftigt nun ihren eigenen Studenten, ganz individuell und spezialisiert. Sie schickt jemanden in ihrem Namen studieren (der als Substudent natürlich keine Studiengebühren zahlt). Aber was macht sie, wenn sie groß ist und ihren Traumberuf hat? Schickt sie dann jemanden arbeiten?

Vielleicht so: Sie trägt den Titel, dazu unbequeme Stöckelschuhe. Sie quält sich morgens und abends durch Staus und tagsüber durch den frustrierendsten Berufsalltag, der sich denken läßt – schließlich hat sie keinen Schimmer von dem, was sie tut. Und unauffällig im Hintergrund bezahlt sie ihren persönlichen Ghostwriter, Ghostthinker, Ghostorganizer, der digitale Instruktionen sendet. Dazu schlürft er, enthoben jeglichen Kostüm- und Fassadenzwangs kubanischen Kaffee oder portugiesischen Rotwein – jeweils vor Ort natürlich.

Also, wie gesagt: ich habe nichts gegen Marktbelebung. Und meine Adresse in Lissabon geb' ich demnächst bekannt. Tschüß dann!

Ulrike Rohde

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