Express Online: Thema der Woche | 1. Februar 2007

Mit Ionenkraft zu den Ursprüngen des Lebens

Ionenantrieb
Beim in Gießen entwickelten Ionenantrieb wird das Edelgas Xenon als Treibstoff elektrisch auf Touren gebracht: Vergleichbar mit einer Leuchtstoffröhre, in der Gas durch Strom "ionisiert" wird und zu leuchten anfängt. Die Energie dafür wird im All mit Solarsegeln gewonnen. In der "elektrischen Rakete" kann der Treibstoff mit Hochspannung auf eine Geschwindigkeit von bis zu 45 Kilometern pro Sekunde beschleunigt werden. "Dieses so genannte Plasma hat eine Strahlgeschwindigkeit, die zehnmal so hoch ist, wie bei konventionellen chemischen Raketen", erläutert Erfinder Horst Löb. Dadurch könne der Treibstoffverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Triebwerken auch um den Faktor zehn verringert werden. Anfang der 1960er Jahre hatte der inzwischen emeritierte 74-jährige Physikprofessor mit seinen Forschungen begonnen.
Unter der Leitung von Dr. Davar Feili, wird am I. Physikalischen Institut der Gießener Uni jetzt mit der Realisierung eines Triebwerks nach Raumfahrt-Standard begonnen. Dazu hat sich ein Team, bestehend aus der Arbeitsgruppe "Elektrische Antriebe" der Gießener Uni, des Instituts für Oberflächenmodifizierung Leipzig (IOM) und dem Luft- und Raumfahrtkonzern EADS/Astrium gebildet. Das elfköpfige Team wird im Auftrag der ESA in den nächsten 18 Monaten die Entwicklung vorantreiben.
Die Arbeitsgruppe Ionentriebwerke im Netz: http://meyweb.physik.
uni-giessen.de/
Homepage RIT/
index-de.htm
Georg Kronenberg
Der von dem Gießener Physiker Horst Löb entwickelte Ionenantrieb könnte helfen, Antworten auf fundamentale Fragen zur Physik und Astronomie zu geben.

Er hat einen der größten Misserfolge der europäischen Raumfahrt doch noch in eine Erfolgsgeschichte verwandelt. Und das war erst der Anfang: Der von dem Gießener Physiker Horst Löb entwickelte Ionenantrieb könnte helfen, Antworten auf fundamentale Fragen zur Physik und Astronomie zu geben: Die Europäische Weltraumagentur ESA plant eine Reihe von Missionen, bei denen Sonden mit höchster Genauigkeit im All positioniert werden müssen – wofür in Gießen spezielle, sogenannte "Mikro-Newton-Ionentriebwerke" entwickelt werden.

Für das Weltraumexperiment "Darwin" will die ESA etwa eine Flotte von Teleskop-Satelliten ins All schicken, um nach den Ursprüngen des Lebens, – nach Anzeichen von Leben auf erdähnlichen Planeten außerhalb unseres Sonnensystems zu suchen. Nach derzeitiger Planung soll die Mission aus vier einzelnen Satelliten bestehen, die frühestens 2015 ins All starten. Der Gießener Ionenantrieb gilt als besonders Erfolg versprechendes Antriebskonzept für die Teleskop-Flotte. Seit 2004 fördert die ESA die Justus-Liebig-Universität bei der Vorentwicklung der dafür nötigen Mikro-Newton-Ionentriebwerke. Jetzt wird mit der Realisierung eines Triebwerks nach Raumfahrt-Standard begonnen.

Der bereits Anfang der 1960er Jahre von dem inzwischen emeritierten 74-jährigen Physikprofessor Horst Löb entwickelte Antrieb hatte 2002 seinen spektakulären – Praxiseinsatz und verhinderte gleich eine 821-Millionen-Euro-Pleite der ESA. Durch einen Fehler im Triebwerk einer Ariane-Rakete war der ESA-Nachrichten-Forschungssatellit "Artemis" nach dem Start im Juli 2001 etwa auf halbem Weg zur vorgesehenen geostationären Umlaufbahn in 36.000 Kilometern Höhe gestrandet. Mit chemischen Reservetreibstoff konnte der nicht versicherte 821-Millionen-Euro-Satellit anschließend nur auf 31.000 Kilometer Höhe gebracht werden, wo er seine Bahnen nutzlos um die Erde zog.

Um die Millionen-Pleite abzuwenden, funktionierte die ESA die vier an Bord befindlichen Ionentriebwerke, die eigentlich nur zur Bahnstabilisierung im All gedacht waren, zum Antrieb um. Die "elektrischen Raketen" brachten den nach der griechischen Jagdgöttin benannten Satelliten in elf Monaten ins 5.000 Kilometer entfernte Ziel: gemächlich, erst mit 25, dann mit 15 Kilometern Höhengewinn pro Tag. Die zwei Ionentriebwerke englischer Produktion waren bereits kurz nach dem Start durch einen Kurzschluss ausgefallen. Und auch eines der beiden deutschen Triebwerke versagte wegen einem simplen Defekts an einem Standardteil für die Treibstoffzufuhr.

Das letzte deutsche Ionentriebwerk sorgte aber dafür, dass der "längste Stapellauf der Raumfahrtgeschichte" (ESA-Projektleiter Gotthard Oppenhäuser) ein erfolgreiches Ende hatte.

Die Rettungsaktion war gleichzeitig eine glanzvolle Premiere: "Das war weltweit das erste Mal, dass ein Satellit im Erdfeld mit einem elektrischen Antrieb auf eine höhere Umlaufbahn gebracht wurde", berichtet Entwickler Löb. Er sieht einen großen Zukunftsmarkt für die Ionentriebwerke, "weil die Triebwerke einen vergleichsweise geringen Treibstoffverbrauch haben".

Dadurch könnten Satelliten mit kleineren Startraketen ins All geschossen werden – was die Kosten deutlich reduziere.

Georg Kronenberg



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