Express Online: Thema der Woche | 3. Mai 2007

Neues lernen

Maasai Mara Development Work-Camp
Das Work-Camp in Kenia findet vom 10. September bis zum 7. Oktober in Sekenani/Kenia statt. Interessierte TeilnehmerInnen müssen topfit sein, Flug, Visa und Impfungen u. Taschengeld selber finanzieren und gute Englischkenntnisse besitzen.
Das erste Vorbereitungstreffen für das Work-Camp findet am Montag den 14. Mai um 19.00 Uhr im Marburger Waggonhallen-Kulturzentrum statt. Zum Sportdies am Mittwoch den 27.6. organisiert die Fachschaft Sport der Philipps-Universität in Zusammenarbeit mit dem Hochschulsport und TeilnehmerInnen des Work-Camps einen Spendenlauf zugunsten des Maasai Mara Development Projektes.
Infos unter: http://www.students.uni-
marburg.de/~Fssport/
; weitere Infos unter: www.i-see.de; "I SEE MAASAI DEVELOPMENT", Ktnr. 18408201, Volksbank Mittelhessen, BLZ 51390000
Thomas Gebauer
Für drei Monate besuchte der Maasai Nelson Reiyia Anfang diesen Jahres Deutschland und informierte bei zahlreichen Veranstaltungen und Schulbesuchen in Gießen und Marburg über die Kultur seines Volkes und über sein Projekt gegen die Traditionen der Genitalverstümmelung und Frühvermählung von jungen Mädchen bei den Maassai in Kenia. Mit einem Internationalen Work-Camp will Reiyia im September die konkrete Umsetzung seines Projektes beginnen.

Express: Zum ersten mal in Deutschland, wie fühlt sich das an?
Reiyia: Ich bin sehr beeindruckt von den Gegebenheiten in Deutschland. Alles scheint sehr effizient und gut organisiert zu funktionieren. Die öffentlichen Transportmittel sind z.B. sauber, sicher, komfortabel und pünktlich, und die Menschen in Deutschland erlebe ich als gastfreundlich und aufgeschlossen.

Express: Welche Idee liegt deiner"I SEE Maasai Development Initiative" zugrunde?
Reiyia: Die I SEE Maasai Development Initiative, kurz ISMDI, ist eine Organisation mit Sitz in Kenia, die von einigen Maassai aus Sekenani/ Maasai Marain Zusammenarbeit mit Freunden aus Deutschland und den USA gegründet wurde. ISMDI hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen der Maassai, insbesondere die Situation junger Mädchen zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass es z.B. möglich ist, die positiven Aspekte einer Kultur, die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt fasziniert, zu bewahren und gleichzeitig rückständige und unmenschliche Praktiken wie die Beschneidung von jungen Mädchen zu thematisieren und langfristig ganz abzuschaffen.

Express: Die Maasai sind einer von zahlreichen afrikanischen Stämmen, die noch immer die rituelle Beschneidung von Mädchen praktizieren?
Reiyia: Ja, leider. Dies geschieht meist, wenn die Mädchen ungefähr 10 Jahre alt sind. Ihre Beschneidung stellt eine Art Initiationsritus dar, der den Übergang vom Mädchen zur Frau markieren soll. Ein Brauch, der tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Das macht seine Abschaffung äußerst schwierig. Obwohl die Praxis der Mädchenbeschneidung von der kenianischen Regierung verboten wurde, sind dennoch circa 90% aller Maasai-Mädchen davon betroffen oder bedroht.

Express: Welche Folgen hat das für die Mädchen und jungen Frauen?
Reiyia: Die Verstümmelung ihrer Genitalien fügt den Mädchen nicht nur immensen körperlichen und seelischen Schaden zu. Ihnen wird dadurch auch jede Chance auf Bildung und eine eigenständige Wahl ihrer Zukunft genommen. Denn nach ihrer Beschneidung werden junge Mädchen im Alter von 10 bis 12 Jahren oft gegen ein Brautgeld, in der Regel Vieh, an wesentlich ältere Männer – teilweise als Zweit- oder Drittfrau – verheiratet.

Express: Können Aufklärung und Bildung denn jahrhundertealte Traditionen in den Köpfen der Menschen z.B. in Sekenani verändern?
Reiyia: Ja, daran glaube ich. Trotz allgemeiner Modernisierung und "Verwestlichung" haben die Maassai ihren seit Jahrhunderten praktizierten Lebensstil weitgehend beibehalten. Sie sind traditionell ein Hirtenvolk, und auch heute noch decken die meisten Maasai ihren Lebensbedarf ausschließlich durch Rinderhaltung und betreiben aus kulturellen Gründen keinerlei Landwirtschaft. Da die Maasai einen beträchtlichen Teil ihres Landes zur Schaffung der Maasai Mara und des Serengeti-Nationalparks aufgeben mussten, aber kaum von den dort erwirtschafteten Einnahmen profitieren, sind sie gezwungen, ihren harten Überlebenskampf mit neuen Ideen zu bereichern.

Express: Sehen das die alten Maassai auch so?
Reiyia: Nicht immer, aber immer öfter sehen auch die Alten gerade in den Zeiten großer Dürre, wenn das Vieh stirbt und nicht mehr viel bleibt, dass wir Neues lernen müssen. Deshalb versuchen wir auch, wichtigen Lernprozesse generationsübergreifend anzulegen, damit alle Menschen in Sekenani in die anstehenden Veränderungen einbezogen werden und begreifen, dass wir als Gemeinschaft zukünftig nur überleben können, wenn alle unsere Potentiale und insbesondere die Fähigkeiten der Mädchen und Frauen sich besser entfalten können.

Express: Wie willst Du das schaffen?
Reiyia: Viele Maasai-Mädchen haben aufgrund von Beschneidung, Zwangsheirat und Armut keine abgeschlossene Schulausbildung. Zahlreiche Mädchen haben nur wenige Jahre oder niemals eine Schule besucht. Da die kenianische Regierung nur begrenzte Fördermöglichkeiten bietet, sammeln wir Geld und vermitteln Patenschaften, um Kinder, insbesondere Mädchen, bei ihrer Schulausbildung zu unterstützen.

Express: Mit welchen Kosten ist das verbunden?
Reiyia: Die Kosten für die Unterbringung in einer "Boarding School", die die Mädchen vor Zwangsheirat und Beschneidung schützt, betragen 200 Euro für die Grundschule und 300 Euro für die weiterführende Schule pro Jahr. Der Betrag deckt Schulgebühren, Essen, Bücher, Uniformen und sonstigen Schulbedarf.

Express: Welche Schritte sieht deine Projektidee vor?
Reiyia: Wir haben bereits damit begonnen, die Menschen in Sekenani generationsübergreifend für die Themen Mädchenbeschneidung und Frühvermählung von Kindern zu sensibilisieren. Gegenwärtig sammeln wir Spenden, um eine Einrichtung aufzubauen, die junge Mädchen, die vor Beschneidung oder Heirat geflüchtet sind, aufzunehmen. Der Ältestenrat von Sekenani hat dafür bereits ein Stück Land zur Verfügung gestellt, das wir im Rahmen des im September stattfindenden Work-Camps mit internationaler Hilfe zur Bebauung vorbereiten werden.

Express: Wie soll diese Zufluchtsstätte aussehen?
Reiyia: Neben einer Schule, die als eine Art Zukunftswerkstatt wichtige Lernprozesse inspirieren soll, und einer kleinen Krankenstation, wollen wir als "Money-generating Income Structure" ein Safarai-Camp bauen. Von dort sollen aber nicht nur gut situierte Touristen in den Nationalpark Maasai Mara aufbrechen, sondern z.B. auch Kids aus den Slums von Nairobi und anderen Teilen Kenias durch Projekte wie Nyumbani oder Kiaragana in eigens organisierten Freizeiten am kulturellen und natürlichen Reichtum ihres Landes teilhaben können.

Interview: Thomas Gebauer

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