Express Online: Thema der Woche | 21. Juni 2007

"Das Gesicht der Realität"

Der emeritierte Marburger Politikprofessor Georg Fülberth (67) gehörte acht Jahre lang zu den wenigen Besuchern des RAF-Terroristen Christian Klar.

Express: Herr Fülberth, Jahrelang haben Sie den RAF-Terroristen Christian Klar besucht. Wie kam das?
Georg Fülberth: 1989 habe ich mich mit einigen anderen an einem Versuch beteiligt, eine neue linke Formation zu bilden, die "Radikale Linke". In derselben Zeit unternahmen die RAF-Gefangenen ihren letzten Hungerstreik. In dieser Situation versuchten sie, mit anderen Sektoren der Linken ins Gespräch zu kommen. Darauf habe ich mich eingelassen. Anfang der 90er Jahre war ich in Celle, wo Knut Folkerts, Karl-Heinz Dellwo und Lutz Taufer einsaßen. Ab 1997 war ich zweimal im Jahr bei Christian Klar.

Express: Warum haben Sie ihn besucht?
Georg Fülberth: Es war eine Selbstverständlichkeit. Ich bin ein Linker, und die Linke hat für mich nach links hin keine Grenze. Also gehören die Gefangenen aus der RAF für mich dazu, auch wenn sie schwere Irrtümer begangen haben. Da wendet man sich nicht ab, wenn man um ein Gespräch gebeten wird. Ich bin ohnehin Knastgänger. Ich habe Erich Honecker und Helmut Pohl, der längere Zeit als eine Art Sprecher auch für die anderen RAF-Gefangenen angesehen wurde, besucht.

Express: Wie haben Sie Christian Klar erlebt?
Georg Fülberth: Als hellwachen Menschen, der sich sehr angestrengt bemüht, die Welt zu begreifen und zu verstehen, was außerhalb der Gefängniszelle passiert. Ein unheimlich sympathischer Kerl mit großen, strahlenden Augen. In unseren Gesprächen war er nicht verkrampft sondern locker. Er war immer sehr gut vorbereitet, wenn ich kam, brachte Zeitungsausschnitte und Notizen mit. Gesprochen haben wir dann eigentlich immer über seine Hoffnungen und über meine Skepsis.

Express: Was meinen Sie damit?
Georg Fülberth: Wenn es große Demonstrationen gab, zum Beispiel anlässlich der WTO-Konferenz in Seattle 1999, war das für Christian Klar stets Teil eines Aufbruchs einer Bewegung der Welt nach links, die er immer noch für wahrscheinlich und möglich hielt. Ein gutes Beispiel dafür ist seine Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz. Da spricht er ja davon, "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden". Er sieht also einen Prozess, in dem das Kapital in der Defensive ist. Christian Klar ist ein Mensch mit einer revolutionären Gesinnung in einer nicht revolutionären Zeit.

Express: Bereut er seine Taten?
Georg Fülberth: Ich zitiere aus seinem Gnadengesuch: "Selbstverständlich muss ich eine Schuld anerkennen. Ich verstehe die Gefühle der Opfer und bedauere das Leid dieser Menschen." Das ist Originalton Christian Klar.

Express: Trotzdem hat ihn Bundespräsident Horst Köhler nicht begnadigt. Haben Sie das erwartet?
Georg Fülberth: Ich habe nicht an den Erfolg des Gnadengesuchs geglaubt. Aber nach Recht und Gerechtigkeit müsste er spätestens 2009 raus. Ganz offensichtlich hat man mehr verlangt als einen Ausdruck des Bedauerns oder das Schuldeingeständnis. Man wollte tätige Reue. Das hätte bedeutet, dass er Leute verpfeift. Und dazu ist er nicht imstande. Er kann nicht seine Leute ans Messer liefern. Kurz vor der Entscheidung des Bundespräsidenten hat ja auch die Bundeskanzlerin gesagt, dass Christian Klar nichts zur Aufklärung des Verbrechens beigetragen habe. Darin steckt die Aufforderung zur Denunziation.

Express: Sie selbst besuchen Christian Klar seit 2005 nicht mehr. Warum ist der Kontakt abgebrochen?
Georg Fülberth: Auslöser war ein Artikel in der Zeitschrift "Konkret", in dem ich meine grundsätzlich pessimistische Wahrnehmung der Situation der Gefangenen schilderte. Dagegen hoffte Christian Klar, dass der revolutionäre Prozess draußen weitergeht. Ich habe ihm gesagt, dass da draußen nichts dergleichen ist. Ich konnte ihm keine Hoffnung auf bessere politische Perspektiven geben. Da war ich wohl für ihn das Gesicht der Realität. Das war nicht das, was Christian Klar in der hoffnungslosen Situation im Jahr 2005 gebraucht hat. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, da versagt zu haben. Wenn ein Gefangener, der in einer aussichtslosen Situation ist, von einem Besucher vordekliniert bekommt, dass die Situation nicht so ist, wie der Gefangene sich das erhofft, dann ist das keine Hilfe. Jedenfalls schrieb er mir, dass ich offensichtlich zu wenig verstanden habe.

Interview: Gesa Coordes

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