Express Online: Thema der Woche | 19. Juli 2007

Nachspiel vor Gericht

Wegen ihrer Teilnahme an Autbahnblockaden der Studiengebühren-Gegner muss sich die Ex-Vorsitzende des Marburger Astas vor Gericht verantworten.

Hektisch tippt Lena Behrendes 1-1-0 in ihr Handy, dann rennt sie den anderen hinterher, die Böschung hinauf, durchs knöchelhohe Gras. "Auto-bahn, Auto-bahn", schallt es an jenem Donnerstag, dem 11. Mai 2006, entlang der Marburger Stadtautobahn. Auf einer Vollversammlung hat die heute 23-jährige Studentin, damals Vorsitzende des Marburger Astas, zuvor hunderte Studenten in Proteststimmung gebracht – gegenden Plan des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Studiengebühren einzuführen.

Die Universitätsstadt Marburg sollte von diesem Tag anwieder zum Epizentrum studentischer Proteste werden. Es war das erste Wer-ist-zuerst-auf-der-Autobahn-Wettrennen zwischen Studenten und Polizisten. In den nachfolgenden Wochensollte es zur Hauptaktionsform der Studiengebühren-Gegner werden. Dutzende Male wiederholt, in Marburg, Frankfurt, Wiesbaden und Gießen.

Das war auch Lenas Ding. Die vierspurige Autobahn quer durch die Universitätsstadt lag quasi vor der Uni-Haustür. Schnell zu erreichen, leicht zu blockieren. Die Polizei? Weit und breit nicht in Sicht. Die hatte mit einer Spontandemo in der Altstadt gerechnet, nicht mit einem Sit-in auf der Autobahn. Die Geografiestudentin beschlich zugleich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn ein Auto in dieSitzblockierer rast.Die Polizei musste her, musste die Autobahn sperren. Darum tippte sie 1-1-0.

Ich habe mich da verantwortlich gefühlt", erzählt die damalige Studentenvertreterin. Auch bei späteren Blockaden stand sie der Polizei als Ansprechpartnerin zur Stelle: Als ihre Mitstreiter die Autobahn in ihrer vollen Breite dicht machten, erreichte Behrendes, dass ein Fahrstreifen frei gehalten wurde. Als man dann über eine Dauerblockade sinnierte, überredete sie die Sitzstreiker, es bei symbolischen dreißig Minuten zu belassen. Der Sit-in löste sich auf – ohne Eingreifen der Staatsmacht.

Doch ihre Vermittlerrolle droht Lena Behrendesnun juristisch zum Verhängnis zu werden. Am 23. Juli muss sie sich zusammen mit zwei Mitstreitern wegen der Teilnahme an der Autobahnblockade vor dem Landgericht verantworten. Der Vorwurf lautet: Nötigung. Eventuell komme noch Freiheitsberaubung hinzu, wurde ihr dieser Tage noch in einem "Richterlichen Hinweis" mitgeteilt.

Behrendes redet sich nicht raus: "Das Blockieren einer Autobahn ist eine Straftat". Die Crux sei aber: Hätte sie nicht mit der Polizei kooperiert, um eine Eskalation zu verhindern – dann drohten ihr jetzt keine Geldstrafe und keine Vorstrafe. Denn einzig ihren Namen kannte die Polizei. "Jetzt wird gerade an mir ein Exempel statuiert". Sie schüttelt den Kopf: "Künftig müssen wir uns ein schwarzes Tuch um den Kopf binden und dürfen nicht mehr mit der Polizei verhandeln."

Einer der sich für die Studentin öffentlich stark macht, ist der Marburger Unikanzler, Friedhelm Nonne. Die Anklage sei ein "problematisches Signal". Er könne nicht nachvollziehen, dass gerade Lena Behrendes der Prozess gemacht werde. Der Person, deren Kooperation mit Polizei und Hochschulleitung maßgeblich dazu beigetragen habe, Konfrontationen zu entschärfen, Eskalationen zu verhindern. Zum Beispiel, als Studenten das Uni-Hauptgebäude inklusive Präsidentenbüro geschlagene zwei Wochen besetzt hielten. "Frau Behrendes Vermittlungsgeschick und Engagement verhinderte eine Polizeiräumung und gewaltsame Auseinandersetzungen." Ans Gericht appelliert der Kanzler, die Gesamtsituation mit Augenmaß zu betrachten. Und den Prozess gegen eine Geldauflage einzustellen.

Eine Forderung, die auch der Geschäftsführer des Marburger Zentrums für Konfliktforschung, Johannes Beckerm unterstützt. "Lena verhandelt mit der Polizei und kassiert dafür eine Vorstrafe", wundert sich der Privatdozent. "Lena garantierte Verlässlichkeit, etwas, was in der politischen Auseinandersetzung nicht selbstverständlich ist." Gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Ulrich Wagner sammelt er Unterschriften für eine Einstellung des Prozesses. Aus Solidarität werden Fußballturniere und Konzerte veranstaltet. Und Spenden gesammelt, damit Behrendes ihren Anwalt bezahlen kann. Zumal sie sich mit einer Verurteilung nicht abfinden will. "Ich werde durch alle Instanzen gehen."

Stefan Saemann

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