Express Online: Thema der Woche | 9. August 2007

Hartes Urteil für Autobahnblockierer

Weil er die Marburger Stadtautobahn für fünf bis zehn Minuten blockierte, hat das Amtsgericht Marburg am Montag einen 23-jährigen Lehramtsstudenten aus Gießen zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt.

Damit liegt das Urteil nur ganz knapp unter der Grenze zur Vorstrafe, die für die Zukunft des angehenden Lehrers fatal gewesen wäre. Die Besetzung dauerte fünf bis zehn Minuten.

Das ist völlig unverhältnismäßig und ein falsches Signal für die Zivilcourage", kommentierte der Geschäftsführende Direktor des Marburger Zentrums für Konfliktforschung, Dr. Johannes M. Becker. "Das ist ein hartes Urteil", meinte auch Verteidigerin Waltraud Verleih. Der 23-jährige Mathematik- und Geschichtsstudent überlegt nun, ob er die nächste Instanz anruft.

Richter Jürgen-Peter Taszis geht mit seinem Urteil nämlich noch über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die nur 60 anstelle von 90 Tagessätzen á 20 Euro beantragt hatte. Taszis sieht in dem Angeklagten den Anführer einer Gruppe von Studierenden, die am 12. Mai im Zuge einer Demonstration gegen die Einführung von Studiengebühren die Leitplanken überrannte und die Stadtautobahn besetzte. Er habe ein weißes Tuch geschwenkt, um die Autofahrer zu stoppen. Daraufhin seien weitere Demonstranten auf die Stadtautobahn gestürmt. Dies sei ein klarer Fall von Nötigung. Taszis: "Das Maß des Unrechts ist so groß, dass drei Monatseinkommen voll und ganz angemessen sind."

An dem Urteil könne man erkennen, dass es sich um ein politisches Verfahren handele, kritisiert die ehemalige AStA-Vorsitzende Lena Behrendes. Sie hätte am Montag gemeinsam mit zwei Kommilitonen wegen einer anderen Autobahnblockade vor Gericht stehen sollen. Doch das Verfahren wurde vertagt, was die Studierenden sehr verärgerte. Ihre Anwälte wollen einen Befangenheitsantrag gegen Richter Taszis prüfen.

Vor dem Amtsgericht hatten sich rund 100 Studierende zu einer Kundgebung versammelt. An einer Wäscheleine präsentierten sie die Unterschriftenlisten, mit denen 3000 Professoren, Studierende, Gewerkschafter und andere Marburger ihre Solidarität mit der früheren AStA-Vorsitzenden und den anderen Autobahnblockierern bekundeten.

Allerdings liegt der Fall bei Behrendes anders. Sie hatte die Polizei noch rechtzeitig alarmiert, um drohende Unfälle zu vermeiden. Auch die beiden anderen Angeklagten hatten dazu beigetragen, dass die Studierenden nach einer längeren Blockade friedlich wieder abzogen. Dass nun ausgerechnet diese drei Studierenden angeklagt wurden, liegt daran, dass sie der Polizei durch ihre hochschulpolitische Arbeit bekannt waren.

Konfliktforscher Johannes M. Becker: "Ich finde es höchst ungerecht, dass ausgerechnet diejenigen, die mit der Polizei verhandelt haben, nun vor Gericht stehen. Das darf man doch nicht sanktionieren, das muss man honorieren." Die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende fürchtet nun ein "Klima der Einschüchterung".

Die Marburger Studierenden waren im Frühsommer vergangenen Jahres mit ungewöhnlichen Aktionen Vorreiter beim Protest gegen die Studiengebühren. Sie waren die ersten, die eine Autobahn blockierten. Die Beamten konnten nur noch die heranrollenden Autos stoppen. Und das "Marburger Modell" machte Schule. Wenige Tage später legten die Studierenden von Frankfurt und Gießen Autobahnen und Bahnverbindungen lahm. Unterdessen besetzten die Marburger eine Woche lang das Verwaltungsgebäude der Universität. Das Präsidentenzimmer wurde zur Protestzentrale.

Gesa Coordes

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