Express Online: Thema der Woche | 6. September 2007

"Wirklich entsetzt"

Info
Weil sie die Marburger Stadtautobahn blockiert haben, waren die ehemalige Marburger Asta-Vorsitzende Lena Behrendes sowie ihre Kommilitonen Max Fuhrmann und Philipp Ramezani Montag vor einer Woche in einem elfstündigen Verhandlungsmarathon von dem Marburger Amtsrichter Jürgen-Peter Taszis wegen Nötigung und Freiheitsberaubung zu Bewährungsstrafen zwischen vier und sechs Monaten sowie jeweils zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, hätte es große Folgen für die berufliche Zukunft der Angeklagten. Ramezani dürfte kaum mehr Lehrer werden. Behrendes' Chancen auf eine akademische Karriere wären gefährdet.
kro/gec
Die Bewährungsstrafen für drei Marburger Studenten wegen einer Autobahnblockade sind auf harsche Kritik gestoßen.

Der Marburger Asta verurteilte die Entscheidung des Amtsgerichtes gegen die drei Marburger Studierenden als einen "Justizskandal"."Wir sind wirklich entsetzt", sagte Asta-Vorsitzende Susanne Schmelter. Das Urteil sei skandalös und beweise die Richtigkeit der Befangenheitsanträge gegen den Richter. Schmelter: "Wir werden die drei Betroffenen bei ihren Vorhaben gegen das Urteil vorzugehen auf jeden Fall unterstützen."

Ähnlich sieht dies der Geschäftsführer des Marburger Zentrums für Friedens- und Konfliktforschung, Johannes Becker, der als Prozessbeobachter dabei war: "Ich finde das Urteil unglaublich. Das ist die falsche Botschaft für Studierende, die Zivilcourage bewiesen haben."

Die Verhandlung vor dem Marburger Amtsgericht führte zu skandalösen Urteilen", ist auch das Fazit der stellvertretenden Landesvorsitzenden der GEW Hessen, Carmen Ludwig, die ebenfalls den Prozess vor Ort verfolgt hatte. Richter Taszis habe sich in seinen Urteilen als Hardliner präsentiert, der Exempel statuieren wolle. Dafür spräche auch, dass er das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß bei weitem überschritten habe.

Der Richter war offensichtlich voreingenommen und hat jedes Augenmaß verloren. Die Unverhältnismäßigkeit und bewusst überzogene Härte der Urteile haben unsere Befürchtungen weit übertroffen. Mit diesen Entscheidungen werden Studierende, die ihren Protest mit friedlichen Mitteln in die Öffentlichkeit getragen haben, kriminalisiert und zu Straftätern gestempelt", kritisiert Ludwig. Die GEW Hessen gehe davon aus, dass die Urteile nicht rechtskräftig werden: "Wir begrüßen, dass die Studierenden in Berufung gehen werden. Wir stehen dabei weiter hinter ihnen."

Dem Richter gehe es um das Statuieren eines Exempels, kritisiert auch Konstantin Bender vom bundesweiten Studierendenverband FZS. Das sieht auch Jan Schalauske, Mitglied im Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS so: "Gezielt wird an drei Studierenden ein politisches Exempel statuiert. Betroffen sind wenige, gemeint ist eine ganze Bewegung."

Der Vorstand des Marburger Kreisverbandes der Linken spart ebenfalls nicht mit Kritik. Thorsten Markstahler vom Kreisvorstand sagte: "Es ist schon merkwürdig, zu welchen Urteilen deutsche Richter kommen. Rechtsradikale Schläger, die andere Menschen angreifen und verletzen, werden zu Freiheitsstrafen von einigen Monaten auf Bewährung verurteilt. Junge Menschen, die ihre Grundrechte in Anspruch nehmen, werden mit diesen Schlägern auf eine Stufe gestellt."

Gegen den Amtsrichter ist nach Angaben der stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Carmen Ludwig von über 20 Personen eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht worden. Grund: Die Gewährleistung der Öffentlichkeit des Verfahrens sei nur sehr eingeschränkt gegeben gewesen. Die Mehrheit der Prozessbesucher habe in dem Gerichtssaal keinen Platz gefunden. Ludwig: "Der Richter bestand darauf, in einem Sitzungssaal zu tagen, in dem nur 35 Personen Platz haben, obwohl es scheinbar möglich gewesen wäre, in einen anderen Sitzungssaal umzuziehen."

Ludwig begrüßte, dass die drei Studenten in Berufung gehen wollen und wies auf den von der Bildungsgewerkschaft initiierten Rechtshilfefonds hin, mit dem die von den Strafverfahren betroffenen Studierenden unterstützt werden sollen.

kro/gec


Express Online: Thema der Woche | 6. September 2007

Nicht vergessen!

Landratswahlen am 9.9. – Wir stellen die Kandidaten vor

Robert Fischbach (CDU): Der Amtsinhaber

Die Jamaika-Koalition ist für Landrat Robert Fischbach (CDU) eine Erfolgsgeschichte. Nirgendwo sonst funktioniert das außergewöhnliche Bündnis aus CDU, Grünen, FDP und Freien Wählern schon so lange wie im Kreis Marburg-Biedenkopf. Seit dem Jahr 2001 regieren die ungleichen Partner miteinander – noch dazu ohne jeden öffentlichen Streit. "Wir kommen gut miteinander klar", sagt Fischbach: "Ich wüsste keinen Grund, warum wir die Koalition nicht fortsetzen sollten."

Sich "Landrat mit grünen Tupfen" zu nennen, findet der Christdemokrat nicht abwegig. Schließlich ist der Umweltbereich sogar in seinem Dezernat angesiedelt. Und er hofft natürlich auch auf die Stimmen der grünen Wähler, wenn er sich am 9. September schon zum dritten Mal zur Wahl stellt. "Zukunft braucht Erfahrung" lautet der Slogan des 62-Jährigen, der trotz seines Alters die gesamte Amtszeit von sechs Jahren durchhalten will. Als er nominiert wurde, hatte er dies noch offen gelassen.

Der gelernte Landwirtschaftsmeister stammt aus Holzhausen im Marburger Hinterland, wo er bis heute mit seiner Familie lebt. Der langjährige Berater für Schweineproduktion wechselte 1993 als Erster Kreisbeigeordneter ins Landratsamt – damals noch unter einem roten Landrat in einer großen Koalition. 1995 gelang es ihm, den traditionell roten Landkreis für sich zu gewinnen. Dabei half es ihm, dass er sich gern bei Vereinen und Veranstaltungen blicken lässt. "Festzeltlandgraf" schimpfen ihn deshalb die politischen Gegner. "Ich gehe gern zu den Menschen hin", sagt der amtierende Landrat, dem Wahlkampf richtig Spaß macht.

Fischbach verweist darauf, dass der Landkreis in der Prognos-Studie auf einem guten Rang stehe. Bei den Kategorien Demographie, soziale Lage, Wohlstand und Arbeitsmarkt zähle die Region zum besten Drittel der 439 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland. Wie der Kreis für junge Familien noch attraktiver werden könne, hält er für ein wichtiges Zukunftsthema. Zudem sollten Existenzgründer aus der Universität noch mehr Unterstützung erhalten.

Bereits seit 1993 leidet der Kreis unter massiven Finanznöten. Gemeinsam mit den Grünen sei das Defizit indes so weit gesenkt worden, dass sie 2008 wahrscheinlich wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen könnten, berichtet Fischbach. Das war zuletzt 2001 der Fall. Der Christdemokrat erklärt sich das sinkende Haushaltsdefizit mit sparsamer Haushaltsführung und Personalabbau. Seit Beginn seiner Amtszeit seien 250 Stellen, also etwa ein Viertel der Belegschaft, abgebaut worden. Im Gegensatz zu seinem roten Herausforderer Manfred Barth ist er auch davon überzeugt, dass das Kreisjobcenter hervorragend läuft, das 2004 die Betreuung der Langzeitarbeitslosen übernommen hat.

Manfred Barth (SPD): Der Herausforderer

Er hat keinen leichten Stand gegenüber Landrat Robert Fischbach. Schließlich ist der Christdemokrat schon seit elf Jahren im Amt. Doch der Rauschenberger Bürgermeister Manfred Barth (SPD) ist zuversichtlich, die Bürger im Kreis Marburg-Biedenkopf bei der Landratswahl am 9. September überzeugen zu können: "Ich stehe für eine bessere Familien- und Wirtschaftspolitik", sagt der 50-Jährige.

Und er hat ein ganz neues Thema entdeckt. Die geplante "A 4 light", also der Ersatz für die Autobahn 4, die nach dem Willen des Landes Hessen nun als drei- bis vierspurige Bundesfernstraße von Olpe bis zum Hattenbacher Dreieck führen soll. "Die CDU im Kreis geht bei dem Thema auf Tauchstation", meint der Sozialdemokrat. Die Bürger hätten bislang nämlich noch kaum bemerkt, dass die aus ökologischen Gründen von den Planern befürwortete Variante quer durch den Landkreis Marburg-Biedenkopf führt. Barth hält die "A 4 light" denn auch für "vollkommenen Quatsch". Es sollten erst einmal die seit Jahren ausstehenden Ortsumgehungen an den bestehenden Bundesstraßen gebaut werden. Ausbauen möchte er auch die Angebote von Krippen, Kindergärten und Grundschulen im Kreis. Wie das geschehen könne, habe er in der Stadt Rauschenberg bereits vorgemacht. Als er vor zwölf Jahren das Bürgermeisteramt in der 4700-Einwohner-Stadt antrat, habe es in Rauschenberg das schlechteste Betreuungsangebot des Kreises gegeben. Dies habe sich grundlegend gewandelt.

Skeptisch stimmt ihn auch die Arbeitsmarktpolitik. Für die arbeitslosen Jugendliche aus seiner Kommune gebe es weniger Angebote, seit die Langzeitarbeitslosen vom Kreisjobcenter betreut werden. Zudem will er die Wirtschafts- und Tourismusförderung gemeinsam mit der Stadt Marburg betreiben. Dies war im vergangenen Jahr an einem Streit zwischen Landrat Fischbach und dem Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD) gescheitert.

Konflikte mit Vaupel sind bei dem als integrierend und ausgleichend geltenden gelernten Verwaltungsfachmann nicht zu erwarten. 1995 gelang es ihm, die Wähler in der durchaus nicht sozialdemokratisch geprägten mittelalterlichen Stadt von sich zu überzeugen. Seitdem regiert er mit wechselnden Mehrheiten. Allerdings waren die Diskussionen um seine Nominierung als SPD-Landratskandidat äußerst unglücklich. Barth war im November 2006 der zunächst unterlegene Bewerber. Nur weil sich der designierte Kandidat Andreas Schulz völlig überraschend zurückzog, hoben ihn die Genossen aufs Schild. "Das hätte besser laufen können", kommentiert Barth trocken.

Freilich kann er auch auf die Zeit setzen. Selbst wenn Fischbach bei der Wahl gewinnt, wird der 62-Jährige möglicherweise nicht die gesamte Wahlperiode im Amt bleiben. Und dann hätte Barth gute Chancen.

Gesa Coordes

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