Express Online: Thema der Woche | 13. September 2007

Marburger retten auf Langeoog

Rettungsassistenten und Sanitäter von der Lahn betreiben den Rettungsdienst auf der Nordseeinsel Langeoog. Im Zweiwochen-Rhythmus wechseln sich die helfenden Hessen ab.

Schneller als 50 Stundenkilometer kann Rettungssanitäter Klaus Becker selbst mit Blaulicht nicht vom Hauptort Langeoog zur Meierei am Ostende fahren. Nur ein viel befahrener Radweg führt an dieses Ende der Insel. Zwischen Salzwiesen, Möwenschwärmen und Wattenmeer holpert der "blaue Klaus", wie der Rettungswagen liebevoll genannt wird, zum Einsatz. Einem 13-jährigen Mädchen ist bei einer Radtour die Kniescheibe aus dem Gelenksitz gesprungen. Weiterradeln kann der weinende Teenager auf keinen Fall. Becker und sein Kollege Ralf Herrmann fahren die Schülerin zu Inselarzt Dr. Joachim Koller.

Beim nächsten Einsatz heißt es Warten auf den Rettungshubschrauber "Christoph 26". Ein Familienvater mit akuter Blinddarmentzündung muss dringend ins Krankenhaus. Doch der Hubschrauber verspätet sich, weil Gewitter über der Küste niedergehen. Glücklicherweise ist der Gesundheitszustand des 37-Jährigen stabil. Als Christoph 26 endlich abhebt, tröstet Klaus Becker die zurückbleibende Familie. "Urlauber sind oft sehr frustriert, weil gleich die ganzen Ferien hinüber sind", weiß er.

Der 42-jährige Rettungssanitäter gilt als inselerfahren. Zum 22. Mal ist er in diesem Sommer von Marburg nach Langeoog gereist, um Sonnenstiche, Knochenbrüche und Schlaganfälle zu versorgen. Sein Kollege Ralf Herrmann schiebt zum ersten Mal Dienst auf der Insel. Viele Abläufe sind anders als in der Heimat. Nicht selten muss die Trage mehrere Kilometer über den Strand geschleppt werden, um zu den Verletzten zu gelangen. Bei nächtlichen Hubschrauber-Einsätzen schließen die Sanitäter sogar selbst den Tower des kleinen Sportflughafens der Insel auf, um Flugfeldbeleuchtung und Flugfeuer einzuschalten, staunt der Langeoog-Neuling.

Bereits seit 1991 reisen Mitarbeiter des zum DRK-Rettungsdienst Mittelhessen gehörenden "Marburger Krankenpflegeteams" an die Küste. Damals hatte der Landkreis Wittmund den Rettungsdienst auf Langeoog und Spiekeroogausgeschrieben. Das Krankenpflegeteam aus dem fernen Mittelhessen erhielt den Zuschlag. "Wir haben ein sehr professionelles Angebot gemacht", erklärt der Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes, Markus Müller.

Aber die Arbeit ist auch bei den 380 Rettungsassistenten und Sanitätern aus Marburg sehr begehrt. Die jeweils vierköpfigen Teams machen nämlich gleichzeitig Urlaub mit ihren Familien. Teure Hotelzimmer müssen dazu nicht finanziert werden. Die in der Inselschule und neben der Wache eingerichteten Unterkünfte werden gestellt, die Diensttuenden haben die Hälfte der Zeit frei. Freilich müssen sie mit 24-Stunden-Schichten mehr Stunden ableisten als in Marburg. Außerhalb der Hauptsaison sind diese aber ruhiger als in der Universitätsstadt. "Im November ist manchmal gar nichts zu tun", sagt Becker. Ein Insulaner gehört zum Team. Michael Agena, der außerhalb des Sommers ständig die Stellung hält, sorgt für guten Kontakt zu den Einheimischen. Doch auch die Marburger seien inzwischen "sehr gut akzeptiert", versichert Becker.

Rund 500 Notfalleinsätze zählt die kleine Wache jedes Jahr. Zu Verkehrsunfällen werden die Retter allerdings höchst selten gerufen. Autos sind nämlich auf Langeoog verboten. Der Rettungswagen ist neben drei Feuerwehrautos das einzige benzinbetriebene Fahrzeug auf der Insel. Der schlimmste Unfall ereignete sich vor zwei Jahren, als eine Pferdekutsche umfiel – neun Verletzte mussten mit dem Rettungshubschrauber in die Krankenhäuser auf dem Festland gebracht werden. Alltag sind die zahlreichen Fahrradunfälle: "Wer nach 20 Jahren zum ersten Mal wieder Fahrrad fährt, überschätzt sich oft", sagt Becker.

Häufig gibt es auf der familienfreundlichen Insel mit ihren vielen Mutter-Kind-Kuren auch Kindernotfälle. Beckers schlimmster Fall: Ein einjähriges Mädchen, das eine kleine Muschel verschluckt hatte. Erst als sie bereits blau angelaufen und tief bewusstlos war, gelang es ihm, das Strandgut mit einer Zange aus ihrem Hals zu holen. Mit Freude erinnern sich die Sanitäter dagegen an die Entbindung auf dem Seenotkreuzer zwischen Langeoog und dem Festland. Als Geburtsort wurden die Koordinaten eingetragen.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 13. September 2007

Neues Theater in der Stadtmitte

Nach der Schließung der Juks-Theaterwerkstatt Ende Juni standen gleich mehrere lokale Theatergruppen auf der Straße. Eine intensive Suche hat zumindest dem Tinko-Theater eine vorübergehende Heimat beschert: Die "Kleine Bühne Gießen", die in der Bleichstraße mit "Rotkäppchen" erstmalig ihre Pforten öffnete. Nach finanzieller Unterstützung und Sponsoren wird indes weiter gesucht.

Ein tiefer, eher schmaler Raum. 80 bestuhlte Plätze, eine Bühne von 20 Quadratmetern mit ausreichender Licht- und Tonanlage, eine kleine Theke sowie ein Proberaum inklusive Requisite und Kostümkammer – so sieht die Ausstattung der "Kleinen Bühne Gießen" in der Bleichstraße 28 nach über drei Monaten Einrichtungsarbeit aus. Vorher waren hier das "Haus der Kulturzeugen", noch früher die "Zeugen Jehovas" beheimatet. Nun ein neues Theater mitten in der Stadt. Trotz aller Eröffnungseuphorie ist die Bühne jedoch eine Notlösung, gesichert ist der feste Spielplan nur bis Mai 2008.

Achim Weimer und Minke Bach haben hier die Produktionen ihres Tinko-Theaters für Kinder ab vier Jahren untergebracht. Durch die Auflösung der Juks-Theaterwerkstatt im Schiffenberger Tal waren die Theatermacher, wie einige andere Gießener Kollegen auch, Ende Juni unmittelbar in Raumnot geraten. Nach intensiven Gesprächen mit Kulturamt und Medien wurde das Problem öffentlich, schnell kam dann die räumliche Lösung in der Bleichstraße, für die Weimer und Bach einen Verein gegründet haben und in finanzielle Vorleistung getreten sind.

Dabei haben sie absichtlich einen neuen, offenen Namen für das Haus gewählt, um die Chance für vielerlei Nutzungen deutlich zu machen. "Wir wollen auch dokumentieren, dass hier eine Kleinkunstbühne entsteht", so Weimer, der das Haus für Comedy, Tanz, Lesungen und weitere Kleinkünstler zur Verfügung stellen möchte. Allerdings sind Kollegen vom englischsprachigen "Keller Theatre" oder "FaberthaftGuth" und deren halbjährlichen Satirewochen, die in diesem Herbst erstmalig ins TiL auswandern, schon zu groß für die "Kleine Bühne", würden aber über mögliche Stippvisiten nachdenken. Auch eine Kooperation mit dem diesjährigen Diskurs-Festival der Angewandten Theaterwissenschaften hätte sich leider nicht ergeben, so Weimer.

Minke Bach hingegen möchte das Tinko-Theater zusätzlich pädagogisch erweitern: "Wir möchten nicht nur Theater für Kinder, sondern auch mit Kindern machen", erklärt sie ihre Vision einer Theaterschule für Kinder, die hier, vergleichbar mit einer Musikschule, entstehen solle. Dies könne jedoch nur mit finanzieller Unterstützung von außen geleistet werden. Gerade Sponsoren würden von daher noch dringend gesucht, so Weimer und Bach einstimmig. So paart sich mit der Aufbruchstimmung leider noch eine gehörige Portion Unsicherheit. Vor allem die monatlichen Grundbelastungen lassen die Zukunft des Hauses noch im Ungewissen.

Eröffnung der "Kleinen Bühne Gießen" war am vergangenen Sonntag mit einer Aufführung vom Märchen "Rotkäppchen". Mit den Clowns "Rata & Tui" und "Lucie Lauthals" geht das September-Programm weiter. Weitere Informationen: www.tinko-theater.de.

Rüdiger Oberschür

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