Express Online: Thema der Woche | 20. September 2007

"Wie ein Alptraum"

Für Till Kuhn war die Urlaubsreise ein Horrortrip. 18 Tage lang wurde der 26-jährige Marburger Student, der noch nie mit der Polizei zu tun hatte, in indischen Gefängnissen festgehalten – völlig unschuldig, wie er versichert.

Er wurde geschlagen, nahm neun Kilogramm ab und braucht nun eine Trauma-Therapie. Jetzt will er nie wieder in das Land Mahatma Gandhis zurück. Doch Till Kuhn ist nur auf Kaution draußen. Eigentlich muss er sich immer noch jeden Monat persönlich in Indien melden.

Dabei ist der Völkerkundestudent ein erfahrener Indien-Reisender, der sich viel mit indischen Religionen befasst hat. Als er am 3. März diesen Jahres gemeinsam mit einem indischen Freund in die Universitätsstadt Pune fuhr, freute er sich auf eine große Rave-Party. Der Mann mit den Rasta-Zöpfchen ist nämlich DJ und wollte beim Auflegen helfen. Doch so weit kam es nie. Bei der nächtlichen Ankunft war Kuhn so müde, dass er sich zum Schlafen in den Bus legte.

Mitten in der Nacht erwachte er durch Schreie. Polizisten hätten auf am Boden sitzende Jugendliche eingeschlagen, erzählt der 26-Jährige: "Ich hatte eine tierische Angst." Nach zwei Stunden holte man auch ihn aus dem Bus. Seine Taschen wurden geleert und das Auto durchsucht, ohne dass sich Drogen fanden. Trotzdem musste er sich mit mehr als 200 anderen jungen Leuten aufreihen. Und weil sein Name in einer SMS gefunden wurde – er sollte ja auflegen -, holte man ihn in nach vorn. Die Polizei schlug ihn so heftig ins Gesicht und auf den Rücken, dass es wochenlang weh tat. Dafür gebe es viele Zeugen, versichert Till Kuhn: "Ich denke, dass sie mir irgendetwas anhängen mussten, weil sie mich geschlagen haben."

Er sei ein Drogendealer, wurde ihm unterstellt. Später wurde ihm der angebliche Besitz von 15 Gramm Haschisch vorgeworfen. Dabei habe er während seines gesamten Indien-Aufenthalts weder gekifft noch Drogen bei sich gehabt, beteuert er. Doch zunächst kam er für fünf Tage in Untersuchungshaft. Dort gab es weder Seife noch Zahnbürste oder Duschen. Geschlafen wurde auf dem harten Steinboden in Zellen ohne natürliches Licht. Immer wieder seien Gefangene herausgeholt und mit Lederriemen geschlagen worden. Nach einigen Tagen kam zwar ein Mitarbeiter des deutschen Konsulats. Der habe ihm aber nur einen Anwalt vermitteln können, den er erst am Tag seiner ersten Gerichtsverhandlung traf. Ungewaschen und unrasiert musste Kuhn vor den Richter treten, der nur Marathi sprach. Der Student verstand kein Wort. Er wurde aber auch nichts gefragt.

Das Gericht entschied zunächst nur, ihn in ein regionales Gefängnis zu verlegen. Dort teilten sich 150 Häftlinge zwei Toiletten. Duschen gab es immer noch nicht. Das Essen war so schlecht, dass Till Kuhn neun Kilogramm abnahm. Post oder Telefonate waren nicht möglich. Seine Mutter erfuhr nur durch einen Zufall von seiner Festnahme. Die Verhaftung der gesamten Rave-Party war so oft im indischen Fernsehen gezeigt worden, dass sie ein Berliner Freund gesehen hatte, der gerade in Indien war. Er erkannte Till Kuhn auf dem Bildschirm.

Weil sie den Beschwichtigungen der Botschaft und des Anwalts nicht traute, flog Patricia Kuhn nach Indien. Sie durfte ihn nur jeweils für wenige Minuten besuchen. Um ihn freizubekommen, musste sie nicht nur eine Kaution stellen, sondern auch einen Bürgen aus der Region auftreiben, der mit Landbesitz für den Studenten bürgt. Möglich war dies nur durch die Vermittlung einer internationalen Frauengruppe, der sie angehört.

Als ich ihn vom Gefängnis abgeholt habe, hat er am ganzen Leib gezittert", erzählt die Deutsch-Amerikanerin: "Jedes Mal, wenn wir Polizisten gesehen haben, ist er zusammengezuckt." Allerdings dauerte es noch fast zwei Monate, bis sie zurück nach Deutschland reisen konnten, weil Papiere von der Universität und anderen Ämtern beigebracht werden mussten. Wann die entscheidende Gerichtsverhandlung sei, wisse niemand. Trotzdem müsse er sich nun jeden Monat persönlich melden. Doch die Kuhns haben Angst, dass ihr Sohn dann abermals nicht zurückkehren kann: "Das ist wie ein Alptraum", sagt Patricia Kuhn. Der 26-Jährige, der immer noch unter Schlaflosigkeit leidet, hat ein Attest vorgelegt.

Dass der indische Strafvollzug nicht mit dem deutschen vergleichbar ist, weiß auch Indienexperte Michael Gottlob, der die Region für die deutsche Sektion von Amnesty International betreut. Schläge seien aber auch in Indien nicht legal. Er meint: "Wenn Drogen nachweisbar gewesen wären, wäre der junge Mann so schnell nicht wieder herausgekommen." Das Auswärtige Amt möchte zu dem Einzelfall nichts sagen: "Das Verfahren läuft noch", erklärte ein Sprecher.

Gesa Coordes

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