Express Online: Thema der Woche | 22. November 2007

Im Visier

Mono für Alle!
... sind die die Gießener Musiker Mono, Yenzzo und Kick, die seit 2000 in der Besetzung Orgel – Bass – Schlagzeug auftreten und mittlerweile zu den bekanntesten Vertretern subversiver Musikkultur gehören. Zuletzt spielten sie als Hauptacts großer Festivals, davor füllten sie in mehreren Tourneen die Clubs quer durch die Republik. Die deutschsprachigen Texte tragen Titel wie "Amoklauf", "11. September" oder "Steineschmeißer", thematisiert wird zumeist die alltägliche Gewalt. Bei seiner Performance erinnert Sänger und Organist Mono, in einem weißen Gewand hinter einer Kanzel stehend, an eine Mischung aus Jesus Christus und Osama bin Laden.
§ 130a Anleitung zu Straftaten
(1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
"Amoklauf" (Auszug)
"Heute halte ich es nicht mehr aus
Mit einer Waffe verlasse ich das Haus
Mein Herz schlägt etwas schneller als normal
Denn ich weiß, die Folgen sind fatal
Ich werde von euch gehen am heutigen Tag
Doch nicht allein – Nein, das ist nicht meine Art
In diesm Magazin sind sechzehn Schuss
Und ich weiß genau, was ich damit machen muss ..."
Mono für Alle! sind ein Garant für provokante Texte und Musik. Der Titel "Amoklauf" der Gießen/Marburger Band beschäftigt nun Staatsschutz und Staatsanwaltschaft. Der Express sprach mit Sänger/Organist Mono.

Express: Wie habt ihr von den Ermittlungen gegen euch erfahren?
Mono: Konzertveranstalter und Bekannte haben uns erzählt, dass die Polizei bei ihnen war und Informationen über uns sammeln wollte. Da haben wir sofort einen Anwalt eingeschaltet und Akteneinsicht beantragt. Es stellte sich heraus, dass der Staatsschutz bereits seit knapp einem Jahr gegen uns ermittelt.

Express: Was wird euch konkret vorgeworfen?
Mono: Der Vorwurf lautet: "Die Band 'Mono für Alle' hat ein Lied mit dem Titel 'Amoklauf' produziert, das derzeit Anlass von sogenannten School Shootings ist und war (Erfurt!)". Dies sei eine "Anleitung zu Straftaten" in Sinne des § 130a StGB.

Express: Kann ein Liedtext eine Anleitung zur Straftat sein?
Mono: Das ist mehr als umstritten, wir sagen nein. Der § 130a wurde in den 1980iger Jahren zeitweilig aus dem StGB entfernt, weil er wenig Sinn macht. Bisher gab es viele Ermittlungen, aber fast keine Verurteilungen. Kritiker gehen davon aus, dass es sich um einen Gesinnungsparagraphen handelt, der das Ziel trägt, unliebsame Inhalte zu zensieren.
Speziell im Hinblick auf das Lied "Amoklauf" ist erwähnenswert, dass ein bekanntes Gutachten der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation bereits 2005 die strafrechtliche Unbedenklichkeit des Liedes festgestellt hat.

Express: Wie ist das Lied "Amoklauf" entstanden und wie wollt ihr es verstanden wissen?
Mono: Das Lied enstand 2001, nach einem Amoklauf in Bayern, ich glaube es war der erste in Deutschland. Wir haben versucht, uns in den Amokläufer hinein zu versetzen, und der Liedtext schildert einfach das Geschehen aus der Ich-Perspektive. Dass jemand auf Grund dieses Liedes auf die Idee kommen könnte, Amok zu laufen, halten wir für völlig absurd. Im Gegenteil: Wir unterstellen dem Lied eine therapeutische Wirkung, die vorbeugend wirken kann.

Express: Wie sind die Ermittler vorgegangen?
Mono: Nachdem, was wir bisher wissen, haben die Ermittler zunächst umfangreiche Recherchen im Internet betrieben, Interviews und Liedtexte analysiert, sich im Fanklub angemeldet, CDs bestellt usw. Gleichzeitig sind die Staatsschützer schon wenige Tage nach Beginn der Ermittlungen zu der Feststellung gekommen, dass wir "extrem konspirativ" seien, und dass eine Identitätsfeststellung der Bandmitglieder auf einem Konzert stattfinden müsse.
Nachdem wir die Tourdaten für Sommer 2007 herausgegeben hatten, ordnete die Gießener Staatsanwaltschaft umgehend die "Überprüfung der Bandmitglieder und Vernehmung als Beschuldigte in einem Strafverfahren" an, und zwar ausgerechnet auf einem Konzert im Rahmen der Anti-G8-Proteste in Rostock mit einem besonderen Konfliktpotenzial. Das Amtshilfeersuchen wurde dementsprechend von der Rostocker Polizei wegen Personalmangel abgelehnt. Daraufhin begannen die Staatschützer, Familienangehörige und Bekannte zu kontaktieren, um dort Informationen über uns zu bekommen. Auch an der ehemaligen Schule eines Bandmitgliedes wurde in den Schulakten recherchiert. Direkt an uns herangetreten wurde nie, obwohl wir ganz normal gemeldet sind.

Express: Welche Konsequenzen hat das Verfahren für euch und andere Beteiligte?
Mono: Für uns können die Ermittlungen zur Folge haben, dass Konzertveranstalter keine Lust auf möglicherweise zu erwartenden Behördenstress haben und zukünftig keine Konzerte mehr mit uns machen. Für uns als "Berufsmusiker" stellen die Ermittlungen somit einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl dar. Zudem sind diverse Persönlichkeitsrechte betroffen, wenn unbeteiligte Dritte in die Ermittlungen miteinbezogen werden.
Wesentlich weitreichender werden allerdings die Auswirkungen auf die Musikkultur sein. Was die Bearbeitung von Themen wie Gesellschaftskritik oder Gewalt angeht, sind viele Musiker aktuell ohnehin stark verunsichert wegen der Maßnahmen zur "Inneren Sicherheit". Als Künstler muss man heutzutage genau prüfen, welche Inhalte sich überhaupt noch veröffentlichen lassen, und viele Werke fallen somit einer unfreiwilligen Selbst-Zensur zum Opfer. Wenn jetzt bekannt wird, dass man wegen der Darstellung von Straftaten in der Kunst mit Repressionen zu rechnen hat, wird sich diese Situation noch weiter verschärfen. Die Ermittlungen sind daher als ein massiver Eingriff in die Kunstfreiheit zu werten.

Express: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Mono: Wir haben umgehend die Einstellung des Verfahrens beantragt, jedoch seit vier Wochen ohne jegliche Reaktion. Das heißt, die Ermittlungen dauern an.

Interview: Michael Arlt

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