Express Online: Editorial | 24. Januar 2008

Andere Vorzeichen

Wow, zieht der so bedrängte Hardliner Roland Koch jetzt tatsächlich andere Seiten auf? Da platzt die Bild-Zeitung mit der Meldung, "Hessen schickt Schläger (16) nach Sibirien!" mitten in den Landtagswahlkampf, in dem Hessens Ministerpräsident bisher so vergeblich mit der von ihm angezettelten Debatte um jugendliche Gewalttäter zu punkten versucht. Bei Minus 55 Grad müsse der Jugendliche aus dem Kreis Gießen im sibirischen "Erziehungscamp" Holz hacken, berichtet Bild und bilanziert: eine "knallharte Strafmaßnahme statt Kuschelpädagogik!"

Die Fakten sehen freilich völlig anders aus und haben herzlich wenig mit der aus dem Ruder gelaufenen Jugendkriminalitätsdebatte zu tun: Der Jugendliche sei "kein Schläger, nicht vorbestraft und die Maßnahme keine Zwangsmaßnahme oder Bestrafung, sondern eine sozialpädagogische Einzelmaßnahme, für die man sich im Einvernehmen mit Ärzten, der Mutter und dem Betroffenen entschieden hat", stellt der zuständige Jugenddezernent Stefan Becker vom Kreis Gießen klar.

Tatsächlich geht es um eine intensivpädagogische oder erlebnispädagogische Maßnahme, mit der sich der 16-Jährige neue Strukturen im Alltag erarbeiten soll – was laut Jugendamt am besten in einer reizarmen Umgebung fern der Heimat gelinge. Derlei Erlebnispädagogik ist alles andere als neu und seit langem anerkannt – und stand in der Boulevard-Presse gelegentlich unter ganz anderen Vorzeichen in der Kritik: als Traumurlaub für Straftäter.

Georg Kronenberg

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