Express Online: Thema der Woche | 10. Januar 2008

"Brutalstmöglicher Populismus"

"Erbärmlich" und "verantwortungslos": Beim SPD-Neujahrsempfang in Wetzlar-Naunheim watscht Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier Roland Koch ab – wegen seines Wahlkampfs "mit kaum verhohlener Ausländerfeindlichkeit".

Es ist der Tag vier, nachdem Roland Koch in der von ihm entfachten Debatte um kriminelle jugendliche Ausländer mit seinen Plädoyer für deutsche Sitten und Gebräuche nochmal nachgelegt hat, und Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat endgültig die Nase voll. Er habe sich in den letzten Tagen häufiger gefragt, "was ist da eigentlich los in Hessen?", so der SPD-Politiker bei seinem Wahlkampf-Auftritt beim SPD-Neujahrsempfang: "Jetzt im Augenblick kämpft die hessische CDU gegen das Schlachten in Wohnküchen und wirft den Ausländern vor, sie hätten Probleme mit der Müllentsorgung. Ein Wahlkampf auf diesem Niveau ist eine Beleidigung für jeden Stammtisch."

Der Beifallssturm der klatschenden und johlenden SPD-Anhänger in der vollbesetzten Kulturhalle in Wetzlar-Naunheim will kaum abebben. "Endlich nimmt sich mal einer den Koch so richtig vor – so wie er das verdient hat", raunt ein Zuhörer zufrieden seinem Nachbarn zu.

Steinmeier spricht vielen in der Kulturhalle aus der Seele. Schließlich waren die letzten Tage hart für die Sozialdemokraten. Kochs Thesen über "zu viele kriminelle junge Ausländer" bestimmten bundesweit die Schlagzeilen. Selbst die Kanzlerin folgte ihrem mit allen Mitteln um den Machterhalt ringenden Parteigenossen und plädierte für ein schärferes Jugendstrafrecht. Und am schlimmsten: Vor den markigen Sprüchen des Hardliners Koch verblassten die Themen, Arbeit, Bildung und ökologische Energie, die die SPD in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs stellt, – wen interessiert schon eine SPD-Mindestlohnkampagne, wenn sich alle Welt über brutale U-Bahn-Schlägereien aufregt.

Wir lassen uns unsere guten Themen nicht von Koch kaputtmachen" gibt sich SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti beim SPD-Neujahresempfang kämpferisch. Die SPD wolle Politik "mit Hoffnung" und nicht "mit Angst" machen. Und Außenminister Steinmeier wundert sich in der Kulturhalle Wetzlar-Naunheim derweil, wie der Regierungschef einer internationalen Finanzmetropole mit einem der größten Flughäfen der Welt "mit kaum verhohlener Ausländerfeindlichkeit" versuche zu punkten. "Ich sage ihnen, das schadet dem Ansehen ganz Hessens."

1998, als der Wahlkämpfer Roland Koch mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsangehörigkeit in vergleichbarer Weise polarisierte, war sein Konzept bekanntlich aufgegangen, er hatte den Wahlsieg in Hessen errungen. Doch diesmal werde sich dieser "brutalstmögliche Populismus" nicht auszahlen, ist sich Steinmeier am Sonntag sicher.

Und das könnte stimmen, einer Emnid-Umfrage für "Bild am Sonntag" zufolge hat der hessische CDU-Hardliner möglicherweise den Bogen überspannt. Nach der Umfrage halten 66 Prozent der Deutschen Kochs polarisierenden Jugendkriminalitäts-Wahlkampf für "eher falsch". Und selbst die Mehrheit der CDU-Anhänger, 56 Prozent, äußert sich ablehnend.

Georg Kronenberg

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