Express Online: Thema der Woche | 19. Februar 2009

Ein Bachelor für Missionare

Bibeltreue Hochschule in Gießen
Im Zuge des Bologna-Prozesses werden auch missionarisch oder pietistisch geprägte Ausbildungsstätten vom Wissenschaftsrat akkreditiert. Dazu zählt auch die Freie Theologische Hochschule in Gießen, die sich selbst als "bibeltreu" bezeichnet. Sie gehört mit etwa 120 Studierenden zu den größten evangelikal orientierten Ausbildungseinrichtungen in Deutschland. Sie wurde erst im zweiten Anlauf und nach kontroversen Diskussionen 2008 vom Wissenschaftsrat anerkannt. Die Akkreditierung wurde an die Auflage gebunden, dass das hessische Wissenschaftsministerium aufmerksam beobachtet, ob die Freiheit von Wissenschaft und Forschung gewährleistet ist. Die meisten Absolventen arbeiten in Freikirchen, landeskirchenkirchlichen Gemeinschaften und in der Mission.
Als Fachhochschulen anerkannt wurden auch das von Baptisten betriebene Theologische Seminar Elstal bei Berlin, wo zukünftige Pastoren des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und anderer Freikirchen studieren, sowie die Theologische Hochschule Reutlingen, eine Ausbildungsstätte der Methodisten.
gec
Wissenschaftsrat hat das neupietistische Seminar Tabor in Marburg als Fachhochschule anerkannt

Ab sofort ist Mittelhessen um eine Hochschule reicher. Der Wissenschaftsrat hat das zum Neupietismus zählende Theologische Seminar Tabor als Fachhochschule akkreditiert. Angehende Missionare und Prediger können hier einen Bachelor- oder Masterabschluss erwerben.

Tabor hat die Qualität seines wissenschaftlichen Personals verbessert, erklärt Dietmar Goll vom Wissenschaftsrat. Noch vor zwei Jahren war die evangelikale Einrichtung daran gescheitert. Dass die Einrichtung der neupietistischen Bewegung angehört, spielte für den Wissenschaftsrat keine Rolle, sagt Goll: "Wir können kein Bekenntnis akkreditieren. Wir können nur überprüfen, inwieweit die Wissenschaftsfreiheit gewährleistet ist." Dabei konzentrierten sie sich auf die Qualität des Studienangebots, des Personals, auf Berufungsverfahren und Forschungsfragen. Darin sei das Seminar ein gutes Stück vorangekommen. Der Rat empfiehlt jedoch, die Forschung zu intensivieren. Zudem soll die Akkreditierung in fünf Jahren erneut überprüft werden.

Zu sorgsamer Beobachtung rät auch der Dekan der theologischen Fakultät der Marburger Philipps-Universität, Prof. Peter Dabrock, der in der FH allerdings keine direkte Konkurrenz sieht. Vor allem müsse darauf geachtet werden, dass die bekenntnistreue Einrichtung ihren Studierenden auch die Methoden der historisch-kritischen Bibelauslegung nahe bringe. Bei Tabor gebe es aber auch Dozenten, die an der Philipps-Universität oder anderen theologischen Fakultäten promoviert hätten. "Ich habe den Eindruck, dass sie aufgeschlossener gegenüber wissenschaftlicher Theologie sind als andere evangelikale Schulen", sagt der Dekan.

Unterdessen freut sich das am Marburger Ortenberg gelegene Seminar über das "tolle Geburtstagsgeschenk", berichtet Direktionsassistent Uwe Schmidt. Ostern feiert die einst als Brüderhaus Tabor gegründete Studien- und Lebensgemeinschaft nämlich ihr 100-jähriges Jubiläum. Bis heute erwartet die 57 Seminaristen allerdings kein normales Studentenleben. Voraussetzung für die Aufnahme ist "eine klare Entscheidung für Jesus Christus". Ledige wohnen in den ersten Jahren wie in einem Internat in Doppelzimmern. Wenn man so eng zusammenlebe, werde man konfliktfähiger, erklärt Schmidt. Dies sei wichtig für die spätere Arbeit.

Morgens um 7.40 Uhr starten die Veranstaltungen. Das Seminar empfiehlt jedoch, noch vorher zu beten und inne zu halten. Um 12 Uhr gibt es einen "geistlichen Break" mit gemeinsamen Andachten, Singen, Beten und Bibellesen. Logisch, dass die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden. Tisch-, Küchen- und Empfangsdienste gehören ebenfalls zum Programm.

Etwa ein Drittel der Seminaristen ist bereits verheiratet. Auch von den Ehepartnern wird erwartet, dass sie sich drei Wochen Zeit nehmen, um die Lebensgemeinschaft kennen zu lernen. "Verlobtenseminare" wurde dies früher genannt. So strikt, wie in früheren Jahren sei die Linie aber nicht mehr, betont Schmidt. Bis 1998 konnten nämlich nur Männer bei Tabor studieren. Nach langen kontroversen Diskussionen werden inzwischen Frauen aufgenommen. Zur Zeit sind es 17 Studentinnen.

Die Ausbildung kostet die jungen Leute vergleichsweise wenig. Pro Semester zahlen sie in der Regel 4300 Euro für Studiengebühren, Kost und Logis. Dafür bleiben sie der Studien- und Lebensgemeinschaft meist lebenslang verbunden. Ein Großteil der Spenden, durch die sich die Einrichtung trägt, wird von ehemaligen Seminaristen aufgebracht. Die meisten Absolventen arbeiten als Prediger und Jugendreferenten in Stadtmissionen und Kirchengemeinden. Etwa zehn Prozent gehen als Missionare ins Ausland.

Den Bachelor – er war in den vergangenen zehn Jahren nur in Kooperation mit der englischen Middlesex University möglich – wollte Tabor, damit ihre Studenten unkomplizierter an andere Hochschulen wechseln und außerhalb der Einrichtungen der Gemeinschaftsbewegung arbeiten können. Zum BA-Studiengang gehören zahlreiche studienbegleitende Praktika. Um die Forschung zu stärken, wurde die Forschungsstelle Neupietismus und das "Marburger Institut für Religion und Psychotherapie" gegründet.

Gesa Coordes

Archiv 2009 >> 2008 >> 2007 >> 2006 >> 2005 >> 2004 >>


Copyright © 2009 by Marbuch Verlag GmbH