Express Online: Thema der Woche | 28. Februar 2008

"Der Schaden im Inneren ist unbeschreiblich"

Seit dem Brandanschlag fühlt sich Fahrettin Oluk erstmals fremd

Fahrettin Aslan Oluk ist eigentlich ein Musterbeispiel für Integration. Er ist nicht nur in Deutschland geboren, aufgewachsen und hat hier studiert. Dautphetal, die kleine Gemeinde im Marburger Hinterland, war für ihn auch immer die Heimat. Jetzt fühlt er sich erstmals fremd. Vor wenigen Tagen haben bislang unbekannte Täter das Wort "Hass" mit SS-Runen an die Hauswand geschmiert und einen Brandanschlag auf sein Elternhaus verübt: "Der Schaden am Haus ist nicht schlimm", sagt der junge Mann: "Aber der Schaden im Inneren ist unbeschreiblich." Seine Mutter wollte im ersten Zorn das Haus verkaufen. "Das kleinste Geräusch von draußen beunruhigt uns schon", sagt der 29-Jährige: "Das war ein Genickschuss."

Dabei war Ausländerfeindlichkeit für Fahrettin Oluk immer anderswo. Das kam in den großen Städten vor, aber nicht in Dautphetal. In den 60er Jahren ist sein Vater als Gastarbeiter von der türkischen Riviera ins Marburger Hinterland gekommen. Mehr als 30 Jahre hat er als Staplerfahrer gearbeitet, seine Mutter war Metallarbeiterin. Für die vier Kinder war das Zusammenleben mit den Deutschen problemlos. Auch Fahrettin Oluk hatte schon früh viele deutsche Freunde. Der Moslem sang sogar gelegentlich in der evangelischen Kirche. Auf der Berufsschule für Wirtschaft und Recht schaffte er das Fachabitur und bekam eine der begehrten Ausbildungsstellen zum Handelsfachwirt bei einem großen Einkaufsmarkt in der Region.

Bei seinem Arbeitgeber war er der erste Türke im Verkauf. Und gelegentlich gab es deutsche Kunden, die nicht von ihm bedient werden wollten. Dann sagte er einfach: "Kein Problem, ich hole ihnen schnell einen Kollegen." Auf solche Auseinandersetzungen ließ er sich auch privat nicht ein. "Ich war immer derjenige, der versucht hat zu schlichten", sagt der 29-Jährige.

Stattdessen engagierte er sich beim Theaterspielen in Biedenkopf, trat als Don Juan und als Prinz in Emilia Galotti auf. Er war im Vorstand des islamischen Kulturvereins und lernte das türkische Saiteninstrument Saz. Im Internet hat er eine inzwischen eingestellte Plattform mit Informationen für Türken und Deutsche aufgebaut, die in fünf Sprachen übersetzt wurde.

Parallel zu seinem Job im Einkaufsmarkt hat er an der Europäischen Fachhochschule für Betriebsökonomie in Hamburg und Basel studiert. Weil er während des Studiums mehrere Monate in New York gelebt hat, spricht er inzwischen fließend englisch. Seit dem Examen hat er sich mit Werbung für Deutschtürken und Fußcremes selbstständig gemacht. Seit 2003 ist er deutscher Staatsbürger. "Ich will hier wählen und politisch mitarbeiten", erklärt der 29-Jährige, der passives Mitglied bei der SPD ist.

Zu der Erfolgsgeschichte gehört das eigene Einfamilienhaus der Oluks, das in einer guten Wohngegend in Dautphetal steht. In den Nachbarhäusern wohnen Deutsche, Spanier, Armenier und Sinti. Im Sommer feiern und essen sie jede Woche in einem anderen Garten.Deshalb hat Fahrettin Oluk bislang auch immer gesagt: "Multi-Kulti kann funktionieren."

Auch jetzt glaubt er noch fest daran, dass der Brandanschlag eine Ausnahme bleiben wird. Seine Landsleute – in Dautphetal bringen sie ihre Kinder neuerdings mit dem Auto zur Schule – mahnt er zur Ruhe.

Dabei hilft die Welle der Solidarität in der Region. Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen und Kommunalpolitiker geben sich bei den Oluks die Klinke in die Hand. Dass sich sogar unbekannte Deutsche mit mitfühlenden Worten melden, tut Fahrettin Oluk gut: "Das gibt mir das Gefühl, dass ich doch nicht so fremd bin."

Gesa Coordes

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