Express Online: Thema der Woche | 24. April 2008

Mit Repetitoren durchs Hammerexamen

Mehr als 600 angehende Ärzte büffeln jährlich in Marburger Lerncamps

Die Medizinstudenten in der Küche des Schulungszentrums in Marburg-Schröck sprechen nur noch vom "Hammerexamen". Seit die drei medizinischen Staatsexamen zu einer landeseinheitlichen Abschlussprüfung mit 320 Fragen zusammengelegt worden sind, verbreitet die letzte große Prüfung vor dem Berufseinstieg fast ebenso viel Angst wie einst das Physikum. Medi-Learn, deutscher Marktführer für Mediziner-Repetitorien, verzeichnet seitdem steigende Teilnehmerzahlen. Jedes Jahr kommen mehr als 600 angehende Ärzte aus dem ganzen Bundesgebiet zum Büffeln nach Marburg.

Viele Teilnehmer haben die Schrecken des Physikums noch sehr lebendig vor Augen. "Es war einfach nur furchtbar", erzählt der Bonner Student Matthias Grube. Wie viele seiner Kommilitonen schaffte er die schwierige Medizin-Zwischenprüfung nicht auf Anhieb. Das will er beim "Hammerexamen" auf keinen Fall wieder erleben. "Es hängt ja so viel dran", weiß die Frankfurter Studentin Judith Monsheimer. Damit nichts schief geht, hat sie eigens Geld von ihrem Verdienst als Krankenschwester für das Repetitorium beiseite gelegt. Vor dem enormen Wust an Fakten und Details fürchtet sich Julia aus Gießen: "Ich hatte das Gefühl, keinen Durchblick zu finden."

Sieben Wochen lang lernen die 30 Studenten fast ohne Pause in dem einsam gelegenen ehemaligen Gasthof am Elisabethbrunnen bei Marburg. Gearbeitet wird von morgens 8.30 Uhr bis abends um 21.30 Uhr – auch am Wochenende. Täglich werden Klausuren geschrieben und mündliche Probeprüfungen abgehalten, damit die Teilnehmer lernen, auch unter Stress noch formulieren zu können. Im Mündlichen hänge etwa 40 Prozent an der "Performance", sagt Valentin Vrecks. Der angehende Psychologe berät in Kleidungsfragen, gibt Tipps zu Lernstrategien und betreut die "Prüfungsangst-Bewältigungs-AG" – sonst sind manche Examenskandidaten nämlich viel zu sehr mit ihren Selbstzweifeln beschäftigt, um noch ordentlich pauken zu können.

Exakt drei freie Tage innerhalb von sieben Wochen verspricht der Unterrichtsplan. Eine Kneipentour durch die Universitätsstadt unternimmt da niemand mehr. Es lenkt sich aber auch niemand mit Sport, Freunden, Kino und Bügeln ab: "Es ist ein Unterschied, ob der Zimmernachbar auch keulen muss", erklärt Judith. Und dass die Repetitoren wissen, welche Krankheiten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Prüfung abgefragt werden, erleichtert das Lernen natürlich auch.

Dass die Studierenden kaum Ablenkung haben, gehört zum Konzept von Medi-Learn. Das Unternehmen ist vor 20 Jahren von zwei Marburger Medizinstudenten gegründet worden. Noch während ihres Studiums halfen sie ihren Kommilitonen über die Fallstricke des Physikums hinweg. Nach dem Abschluss bauten sie die Repetitorien immer weiter aus. Heute hat der Anbieter 14 feste Mitarbeiter und mehr als 100 Dozenten, die den Unterricht bestreiten.

Das größte Problem für die angehenden Ärzte sei es, über Wochen zu lernen, weiß Geschäftsführer Thomas Brockfeld. Deshalb gibt es nicht nur Kurse sondern eine Art Lerncamps, in denen die Prüflinge aus der häuslichen Atmosphäre herausgezogen werden. Fanden die Lehrgänge in den ersten Jahren in Bad Emstal und Bad Salzschlirf statt, gibt es inzwischen drei Schulungszentren in Marburg und Umgebung. Erst Anfang des Jahres hat Medi-Learn ein ehemaliges evangelisches Freizeitheim in Oberweimar übernommen, in dem die Teilnehmer sogar voll verköstigt werden. Billig ist das nicht. Zwischen 1800 und 2700 Euro (ohne Unterkunft und Verpflegung) zahlen die angehenden Ärzte für die vier- bis siebenwöchigen Kurse. Die 32-jährige Anke aus Frankfurt hat deshalb sogar einen Kredit aufgenommen: "Nach dem Abschluss brauche ich ganz schnell einen Job."

Nur 150 Euro zahlen indes die Medizinstudierenden in Göttingen. Dort werden die Physikums-Schulungen aus Studiengebühren gesponsert. Allerdings kommen die Göttinger nicht ins Lerncamp nach Marburg. Es wird ihnen eine abgespeckte Version des Unterrichts vor Ort geboten. Und anstelle von 30 Teilnehmern hören mehr als 150 angehende Mediziner zu. Trotzdem hat sich die Durchfallquote in Göttingen seitdem halbiert.

Gesa Coordes

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