Express: Sie sind ein Fan von Rotkohl, aber nicht unbedingt wegen des Geschmacks ...
Hänsler: Rotkohl ist mein allerliebstes Objekt zum Experimentieren, weil es so viele Möglichkeiten gibt, was man damit alles spannendes anstellen kann. Da wäre etwa der "Rotkohlregenbogen": Rotkraut ändert seine Farbe, je nachdem ob man Säure oder Lauge also Zitronensaft oder Seife zugibt und wird buchstäblich zu Blaukraut oder Gelbkraut ... Sie können drei Tage lang mit Rotkohl experimentieren, und finden immer noch etwas Neues, was kleine und große Forscher zum Staunen bringt.
Express: Seit drei Jahren begeistern sie Kinder in ihren Science Camps für die Naturwissenschaften und liegen damit offenbar voll im Trend. Sie sind für ihr Konzept mit einem Innovationspreis ausgezeichnet worden, arbeiten mit namhaften Chemiefirmen als Sponsoren oder auch dem Land Hessen zusammen. Und die Camps sind regelmäßig ausgebucht. Gibt es in Deutschland einen Nachholbedarf bei alltagsnaher und sinnlicher Vermittlung von Wissenschaft?
Hänsler: Wir haben sogar sehr viel aufzuholen. Daran sind zum großen Teil die Naturwissenschaftler selber schuld. Denn bis vor wenigen Jahren wurde zum Beispiel die Chemie in Deutschland nahezu ausschließlich über die für sich genommen erst einmal oft langweilige Theorie vermittelt. Und kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, schon in der Grundschule oder gar dem Kindergarten Kinder selbstständig experimentieren zu lassen. Als Gisela Lück, heute Professorin für Chemie und Didaktik der Chemie an der Universität Bielefeld, vor über zehn Jahren auf diesem Feld Pionierarbeit geleistet hat und mit leicht verständlichen Experimenten in die Kindergärten gegangen ist, wurde sie von Forscherkollegen zunächst regelrecht angefeindet. Die haben damals überhaupt nicht verstanden,was das bringen soll. Dabei zeigen bereits Vier- bis Fünfjährige großes Interesse an naturwissenschaftlichen Experimenten.
Express: Nicht zuletzt durch die Ergebnisse der Pisa-Studie gibt es inzwischen aber auch in der Bundesrepublik ein Umdenken hin zur sinnlichen Vermittlung von Wissenschaft.
Hänsler: Das große Problem ist aber, dass die Naturwissenschaften immer noch nicht richtig in die Ausbildung von Kindergarten-Erziehern oderGrundschullehrern einfließen. Wir führen auch Fortbildungen für Erzieher und Lehrer durch. Und da geht es oft erstmal darum, deren Ängste abzubauen. Denn viele denken, sie müssten auf jede Frage der Kinder eine Antwort parat haben. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Unser Credo ist, "gehen Sie gemeinsam mit den Kindern auf Entdeckungsreise. Wenn man Forscher ist, liegt es in der Natur der Dinge, dass man nicht alles weiß." In der Grundschule ist weniger die Vermittlung von Fakten wichtig, sondern viel mehr, dass der Lehrer als Moderator die Kinder anleitet, sich kreativ mit verschiedenen "Forschungsobjekten" auseinanderzusetzen.
Interview: Georg Kronenberg
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