Express Online: Thema der Woche | 26. Juni 2008

Äpfel statt Birnen

Eine Studie der Uni Gießen zeigt: Die Erzeugung regionaler Lebensmittel ist nicht immer energiesparender als der Import von Produkten aus dem Ausland.

Der Energieaufwand bei der Lebensmittel-Produktion hängt von der Betriebsgröße und nicht von Transportentfernung ab. Das ist das Ergebnis einer Studie zu Tafeläpfeln von Elmar Schlich, der die Professur für Prozesstechnik an der Universität Gießen hat. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen in deutschen Anbauregionen für Tafeläpfel am Bodensee, in Rheinhessen und an der Niederelbe weisen laut Universität nach, dass der Energieaufwand für Anbau, Ernte und Transporte von der Betriebsgröße und nicht von der Entfernung zum Markt abhängt.

Produkte aus kleineren Betrieben können dabei bis zu fünfmal mehr Energie pro Kilogramm erfordern als solche aus größeren. Insbesondere der Transport der Äpfel ist dort aufwändiger, da die Fahrzeuge kleiner sind. Zudem verfügen kleinere Betriebe nicht über eigene Kühllager, so dass die Ware nach der Ernte in externe Kühlhäuser transportiert werden muss.

Der Energieaufwand für deutsche Tafeläpfel beträgt bei Betrieben mit einer Jahresproduktion von mehr als 1.000 Tonnen nur 0,1 Kilowattstunden pro Kilogramm (kWh/kg). Dabei werden etwa 40 Gramm Kohlendioxid pro Kilogramm freigesetzt. Betriebe, die weniger als 200 Tonnen Tafeläpfel pro Jahr erzeugen, benötigen hingegen bis zu 0,5 kWh/kg und setzen dabei bis zu 200 Gramm Kohlendioxid pro Kilogramm frei.

Wissenschaftler Schlich spricht in diesem Zusammenhang von "Ecology of Scale" – der Ökologie der Betriebsgröße. Regionale Klein- und Kleinstbetriebe können energetisch bei weitem nicht mit größeren Betrieben konkurrieren. Nur wenn im Apfelanbau eine ausreichende Betriebsgröße vorliege, könne zu Recht von regionalen Lebensmitteln mit "hoher ökologischer Qualität" gesprochen werden. "Insoweit gibt es keinen Grund, Äpfel globaler Herkunft wegen des angeblich so verschwenderischen Umgangs mit Energie oder wegen der vermuteten Klimaschädlichkeit anzuprangern", folgert Schlich, zumal fast 60 Prozent des deutschen Verzehrs an Tafeläpfeln aus Südeuropa und weitere zehn Prozent zur Deckung der saisonalen Lücke von der Südhalbkugel der Erde, also aus Argentinien, Neuseeland und Südafrika per Schiff importiert werden.

Die Forschungsergebnisse der Professur für Prozesstechnik am Fachbereich Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement stellen damit die landläufige Meinung in Frage, dass regionale Lebensmittel wegen der kurzen Wege grundsätzlich weniger Energie erforderten als Lebensmittel globaler Herkunft. Zu kleine Betriebe in der Region sollten Kooperativen und Genossenschaften bilden, um eine ausreichende Betriebsgröße zu erreichen, lautet die Empfehlung der Gießener Wissenschaftler.

Erkenntnisse aus früheren Untersuchungen an Fruchtsäften und Lammfleisch können auf Grund der vorliegenden Ergebnisse zu Tafeläpfeln eindrucksvoll bestätigt werden.

Die Studien sind inzwischen veröffentlicht (siehe: Äpfel aus deutschen Landen – Endenergieumsätze bei Produktion und Distribution, Cuvillier, Göttingen: 2008).

pe/kro


Express Online: Thema der Woche | 26. Juni 2008

Register des Possenspiels

Freiluftspektakel mit tierischem Anstrich: "Die lustigen Weiber von Windsor" in Rauischholzhausen.

Schon in seinem Königsdrama "Heinrich V." hatte William Shakespeare durchblicken lassen, dass er die Geschichte um den tumben Ritter Sir John Falstaff fortsetzen wollte. Das tat der Dichter schließlich mit "Die lustigen Weiber von Windsor". Darin wird der Ritter vollends der Lächerlichkeit preisgegeben. Und der chronisch eifersüchtigen Machowelt die lange Nase gezeigt. Peter Radestock hat Shakespeares Possenspiel nun äußerst kurzweilig bei den Schlossfestspielen Rauischholzhausen inszeniert

Im Epilog von "Heinrich IV." hatte Shakespeare 1597 schon angedeutet, seine Geschichte um Sir John Falstaff und die Damenwelt fortzusetzen. Eine Komödie sollte es sein, so dass der Ritter Falstaff diesmal gründlich der Komik preisgegeben werden konnte. Daraus wurden "Die lustigen Weiber von Windsor", gerne auch als Falstaff-Lustpiel bezeichnet, von Guiseppe Verdi und Otto Nicolai später für die Opernbühne verewigt.

Für die Schlossfestspiele Rauischholzhausen hat sich nun Peter Radestock, selbst schon als Lear auf der Bühne des Hessischen Landestheaters gestanden, dem Schwank angenommen. Wie in seinen vielen verschiedenen Marburger Inszenierungen der letzten Jahre, von Schillers "Johanna von Orléans" bis zu Hochhuths "Mc Kinsey kommt" sorgt Radestock auch bei Shakespeare für exzellentes Ensemblespiel. Ohne große Experimente, dafür mit viel szenischer Präzision und Humor. Und gesunder Treue zur Vorlage.

Auch bei den Schlossfestspielen, im pittoresken, den Vorplatz der Schlossfassade ergänzenden Bühnenbild von Axel Pfefferkorn, hat der Schwerenöter Falstaff Geldsorgen. Er beschließt, Frau Fluth und Frau Knabe, zwei reichen Bürgersfrauen der Stadt, gleichzeitig den Hof zu machen. Beide erhalten von ihm gleich lautende Liebesbriefe, in denen er um ein Rendezvous bittet. Die Damen zeigen zwar moralische Entrüstung, gehen aber auf Falstaffs Avancen ein. Allerdings nur, um ihm den Appetit gründlich zu verderben. Und da die beiden dem Saufbold an Raffinesse weit überlegen sind, führen sie ihn kräftig aufs Glatteis und machen ihn ebenso schnell zum allgemeinen Gespött wie zum Gejagten diverser Konkurrenten. Doch natürlich siegt die Treue und alle Ehemänner der Stadt erhalten eine kräftige Lektion über grundlose Eifersucht.

Radestocks Freiluftinszenierung bedient auf äußerst glückliche Weise alle Register des Possenspiels. Die malerische Schlossfassade ist mit Fenstern und Toren ganzheitlich integriert. Absoluter Hingucker sind vier Kühe und Ziegen, die die ganze Aufführung gemütlich kauen und ab und zu einen tierischen Laut von sich geben.

Radestocks Falstaff ist mit Jürgen Helmut Keuchel hervorragend besetzt. Wollte Shakespeare Liebesabenteurer Falstaffs zum Gegenstand einer Komödie machen, so konnte das nur gelingen, indem der dicke Ritter gründlich geprellt und ausgelacht wurde. Und das verkörpert Keuchel wunderbar. Als buckliger, ziemlich tapsiger Dicker mit Hochwasserhosen überzeugt Keuchel als "verfetteter Ritter, der mehr als zügelloser Säufer bekannt ist", in jedem Moment. Vor allem, wenn es für ihn vom Wäschekorb direkt in den Schlossteich geht.

Das Frauen-Trio aus Doris Fluth, Margaret Knabe und Frau Hurtig wird glänzend, mit viel Schalk und spielerischem Mut zur Hinterlist gespielt von Regina Leitner, Franziska Knetsch und Christine Reinhardt. Und wie meistens bei Shakespeare, wird die freche Intrige der Damen in mancher Einsicht seitens der Männerschaft und in einem heiteren Ende zusammenlaufe, für das Radestock sich ein wortwörtlich feuriges Schlussbild ausgedacht hat.

Einen stets hilflos mit den Armen schwingenden Eheman gibt Peter Meyer als Herr Fluth. Thomas Streibig einen Richter Schal nahe der Wilhelm-Busch-Karikatur, Bastian Michael den gewieften Fenton mimt Daniel Sempf ebenso wie den Bardolf. Stefan Piskorz gibt den Pistol und Radestock Sohn Max ist als quirliger Knabe Falstaffs zu sehen, der auf einem imposanten Elektrogaul Botschaften des amourösen Possenspiels übermittelt.

Nächste Termine: 1. Juli bis 13. Juli auch jeweils um 20.30 Uhr auf Schloss Rauischholzhausen.

red

Archiv 2007 >> Archiv 2006 >> Archiv 2005 >> Archiv 2004 >>


Copyright © 2008 by Marbuch Verlag GmbH