Express Online: Thema der Woche | 21. August 2008

Rumänisches Abenteuer

Die Marburger Philipps-Universität pflegt eine sehr lebendige Partnerschaft mit dem siebenbürgischen Sibiu

Eigentlich leben nur noch 2000 Deutsche im rumänischen Sibiu (Hermannstadt). Doch an der Marburger Partner-Universität Lucian Blaga sprechen so viele Studierende deutsch, dass es für die Marburger Tutorin Rebekka Viehl anfangs richtig schwierig war, rumänisch zu lernen. Jeder dritte Student beherrscht die deutsche Sprache – es gibt einen deutschen Oberbürgermeister, vier deutsche Gymnasien, deutsche Kindergärten und Altersheime.

Wer bei Rebekka Viehl Germanistik studiert, möchte Dolmetscher oder Mitarbeiter in einem der vielen deutschen Zweigwerke in Siebenbürgen werden. Die 27-Jährige gehört zu den wenigen deutschen Stipendiaten, die sich auf das Abenteuer Sibiu eingelassen haben. Die angehende Deutsch- und Englischlehrerin schwärmt von der Gastfreundschaft und Offenheit der Stadt. "Alle, die jemals da waren, sind begeistert", sagt auch der Marburger Dialektforscher Heinrich Dingeldein, der bereits seit elf Jahren als Germanistikprofessor in Sibiu lehrt.

Trotzdem kommen ungleich mehr Rumänen nach Marburg als umgekehrt. Seit Beginn der Universitäts-Partnerschaft vor elf Jahren sind Hunderte von Wissenschaftlern und Studierenden an die Lahn gewechselt. "Das ist eine sehr intensive Partnerschaft", sagt der Rektor der Lucian-Blaga-Universität, Constantin Oprean. Vor allem in der Germanistik, wo ein gemeinsamer Magisterstudiengang entwickelt wurde, aber auch in Medizin, Psychologie, Theologie und Jura gibt es einen regen Austausch.

Für die deutschen Gäste ist einiges ungewohnt. Wenn das Akademische Jahr eröffnet wird, sind nicht nur Generäle und Honoratioren der Stadt dabei. Auch der orthodoxe Metropolit und der evangelische Bischof segnen das Uni-Jahr. Die rumänischen Studenten sind sehr jung und fast alle nebenbei berufstätig. Eine eigene Wohnung kann sich kaum einer von ihnen leisten. Die jungen Leute wohnen zu Hause oder im Studentenwohnheim. Trotzdem muckt dort niemand gegen Studiengebühren auf. Auch das sehr verschulte System mit 30 bis 40 Semesterwochenstunden ist selbstverständlich.

Seit dem Ende des Kommunismus erlebt die Universität einen erstaunlichen Aufschwung. Die Zahl der Studierenden stieg von 800 auf 15.000. Dazu kommen noch rund 10.000 Fernstudenten. Stark ist die Hochschule vor allem in den Ingenieurwissenschaften. Da, wo einst der gefürchtete rumänische Geheimdienst Securitate residierte, hat nun der Rektor seinen Sitz. Neu ist auch, dass die Studierenden ihre Examina in amerikanischen Roben feiern.

Um die Beziehungen in den Westen zu vertiefen, holte sich die Hochschule den einzigen deutschen Universitätspräsidenten Rumäniens. Der ehemalige Marburger Uni-Präsident Werner Schaal hat das Ehrenamt seit acht Jahren inne. Sein größtes Projekt ist die Modernisierung der Universitäts-Bibliothek, die bislang in einer alten Armeekaserne untergebracht ist. Schaal sammelte Spenden, damit von den alten Zettelkästen auf Elektronik umgestellt werden konnte. Im Oktober soll die neue Zentralbibliothek eröffnet werden, die zur Zeit mit Marburger Hilfe auf fünf Stockwerken errichtet wird.

Veraltete Bücher würden allerdings nicht gebraucht, betont Schaal. Für rumänische Verhältnisse ist Sibiu nämlich eine reiche Stadt. In den vergangenen Jahren wurde die Altstadt komplett saniert. Das einstige Zentrum der Siebenbürger Sachsen lockte als Europäische Kulturhauptstadt 2007 mehr als eine Million Besucher. Weil sich große deutsche Unternehmen wie Continental, Siemens und Thyssen Krupp niedergelassen haben, gibt es praktisch keine Arbeitslosigkeit.

Der Aufschwung fällt in die Amtszeit von Oberbürgermeister Klaus Johannis, der die 180.000-Einwohnerstadt seit acht Jahren regiert: "Die Hermannstädter haben seit eh und je in Marburg studiert", sagt der 48-Jährige. In der Tat kamen die ersten Siebenbürger Sachsen schon 1571 an die älteste protestantische Universität der Welt. Nur zwischen 1945 und 1990 riss die Verbindung ab.

Gesa Coordes

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