Express Online: Thema der Woche | 9. Oktober 2008

Solarkönig an der Lahn

Vom "Pionier" der Marburger Nacktdemonstrationen zum Bürgermeister: Franz Kahle

Für außergewöhnliche Ideen hat der Marburger Bürgermeister Franz Kahle eine Schwäche. Viele geraten schnell wieder in Vergessenheit. Doch die Marburger Solarpflicht hat den bis dato kaum bekannten Grünen aus der Provinz bundesweit in Schlagzeilen gebracht. Selbst die New York Times und das französische Fernsehen interviewten den 49-Jährigen. Unverdrossen klettert er auf die Solardächer der Stadt, um für seine Idee zu werben: Alle Hausbesitzer Marburgs sollen sich Kollektoren anschaffen, wenn sie ein neues Haus bauen, ihr Dach sanieren, die Heizungsanlage austauschen oder ein Gebäude erweitern.

Für ein Medienecho macht der viel", sagen neidische Stimmen von politischen Gegnern. Tatsächlich hatte der Bauernsohn aus Westfalen, der als sechstes von neun Kindern aufwuchs, früher eher den Ruf eines Spaßvogels. In den 80er Jahren zählte er nicht nur zu den Gründungsvätern der Marburger Grünen, er galt damals auch als "Pionier" der Marburger Nacktdemonstrationen. Aus Protest gegen Bafög-Kürzungen ließ der frühere Asta-Vorsitzende mit den schwarzen Locken sämtliche Hüllen fallen. Und selbst als Rechtsreferendar im Kommunalwahlkampf 1989 posierte er bar jeder Bekleidung Abend für Abend auf Marburger Kinoleinwänden. "Mein Wahlakt" lautete der doppelsinnige Titel, mit dem er für die Grünen warb.

Als Marburger Amtsrichter ließ er solche Eskapaden dann doch bleiben. Seit sieben Jahren ist er nun Dezernent für Umwelt, Bauen und Soziales. Dass er ein kluger, witziger Kopf sei, räumen inzwischen sogar politische Gegner ein. Bei den Grünen, die seine Vorgängerin Ulrike Kober-Kleinert noch vor Ablauf der Wahlperiode aus dem Amt jagten, ist er unumstritten. Sie folgen ihm egal, ob er Heizstrahler vor Restaurants, Kneipen und Cafés verbieten oder eine Seilbahn vom Hauptbahnhof auf die Marburger Lahnberge bauen will – eine Idee, die bereits ein CDU-Oberbürgermeister Anfang der 80er Jahre verwerfen musste.

Vor allem der Koalitionspartner SPD sieht indes mit kaum verhohlenem Ärger, dass der wortgewandte Kahle dem eher biederen SPD-Stadtoberhaupt Egon Vaupel den Rang abzulaufen droht. Sie sagen ihm Sturheit und Rechthaberei nach. Das ist wohl auch der Grund, warum Kahles ganz privater Ärger von vielen Kommunalpolitikern eher mit Schadenfreude betrachtet wird. Seine Vermieter haben einen Streit um höhere Miete und eine Heizungserneuerung öffentlich gemacht. Vermutlich handelt es sich um einen relativ normalen Mietstreit. Darüber reden will Kahle aber nicht.

Privat gilt der 49-Jährige, der sich selbst als "Tageszeitungs-Fan" bezeichnet, als eher bescheiden. Er fährt nicht nur möglichst oft Bus oder Fahrrad. Der frisch verheiratete Bürgermeister wohnt auch bis heute in der ehemaligen Wohngemeinschafts-Wohnung, in die er schon vor knapp 20 Jahren zog. Ganz offenbar günstig. Dafür fehlt warmes Wasser und Heizung um so öfter. Und Sonnenkollektoren hat der Altbau natürlich auch nicht.

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