Express Online: Thema der Woche | 13. November 2008

"70 knochenharte Tage"

Zur Person: TSG?
Thorsten Schäfer-Gümbel, von seinen Parteifreunden auch "TSG" genannt, ist SPD-Unterbezirkschef von Gießen und stellvertretender Vorsitzender der SPD Hessen-Süd. Der 39-Jährige Politikwissenschaftler hat in Gießen studiert und unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter des früheren Gießener SPD-Oberbürgermeisters Manfred Mutz gearbeitet. Der FC Bayern München-Fan sitzt seit 2003 für die SPD im Landtag und gilt als Vertrauter von SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti. Schäfer-Gümbel ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt mit seiner Familie im Licher Ortsteil Birklar im Kreis Gießen.
kro
Ein Mittelhesse soll's richten: Der Licher SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel tritt nach dem Debakel von Andrea Ypsilanti als SPD-Spitzenkandidat gegen Roland Koch an. Fragen an den neuen sozialdemokratischen Hoffnungsträger:

Express: In nur zwei Monaten sind Neuwahlen. Die hessische SPD steckt tief in der Krise. Kaum einer in Hessen kennt Sie. Ist das für Sie nicht ein Himmelfahrtskommando?
Schäfer-Gümbel: Nein, auf keinen Fall. Es ist eine riesige Herausforderung. Es gibt sicher auch Einschätzungen, dass es eine übermächtige Herausforderung ist, innerhalb von acht Wochen bis zur Neuwahl diese Aufgabe zu lösen. Ich bin aber zuversichtlich. Nach dem Rückzug von Andrea Ypsilanti haben wir vielmehr wieder die Chance, unsere Themen in den Mittelpunkt zu stellen. Und mit denen können wir überzeugen – beispielsweise mit der für unsere Zukunft so wichtigen Energiewende oder der Bildungsgerechtigkeit. Denn am 18. Januar wird auch wieder über die Einführung von Studiengebühren abgestimmt ...

Express: Was nutzen Ihnen die besten Themen, wenn in der SPD das Chaos tobt. Wie wollen Sie den Wähler überzeugen, dass Hessens Sozialdemokraten noch regierungsfähig sind?
Schäfer-Gümbel: Das ist relativ einfach. Diejenigen, die das Chaos verantworten müssen, gehören voraussichtlich der nächsten Landtagsfraktion nicht mehr an. Damit sind wir wieder regierungsfähig. Und genau mit diesem Bewusstsein gehen wir in den Wahlkampf. Punkt.

Express: Und der tiefe Riss in der Partei zwischen dem linken und rechten Flügel?
Schäfer-Gümbel: Es gibt keinen Riss in der hessischen SPD! Zur Erinnerung: 98 Prozent der SPD-Delegierten hatten für die Aufnahme der Koalitionsgespräche gestimmt, 95,3 Prozent für den ausgehandelten Koalitionsvertrag. Wir hatten und haben eine breite Akzeptanz in der Partei für den eingeschlagenen Weg, dem eine sehr schwierige Abwägung vorausgegangen ist. Aber ich verstehe natürlich, wenn Menschen sagen, "bei dem Chaos, das in der vergangenen Woche in der hessischen SPD geherrscht hat, ist es schwierig an die Regierungsfähigkeit zu glauben". Es ist eine von meinen Aufgaben, hier wieder Vertrauen aufzubauen.

Express: Wo werden Sie als Spitzenkandidat Schwerpunkte setzen?
Schäfer-Gümbel: Ein wichtiges Thema wird der Umgang mit der drohenden Wirtschaftskrise sein und wie die Finanzmärkte abgesichert werden können. Ich will beispielsweise die Industrie- und Technologiepolitik stärker betonen, als im vergangenen Wahlkampf. Die Themen Energiewende, Bildungsgerechtigkeit und gerechter Verdienst für gute Arbeit stehen aber selbstverständlich ebenfalls weiter im Zentrum.

Express: Warum haben Sie nicht den Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz übernommen – als Zeichen für einen personellen Neuanfang?
Schäfer-Gümbel: Weil es mir wichtig war, dass Andrea Ypsilanti weiter an Bord ist. Ich werde eng mit ihr zusammenarbeiten. Allerdings bedeutet der Generationswechsel, den wir jetzt eingeleitet haben, nicht, dass ich 70 Tage im Zentrum des Spielfeldes stehe und danach wieder in die Kabine gehe. Ich habe die Aufgabe als SPD-Spitzenkandidat angenommen und das heißt auch, ich werde über die 70 Tage hinaus eine zentrale Rolle in der hessischen Sozialdemokratie einnehmen.

Express: Die SPD will diesmal ohne eine Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen – d.h. Sie können sich auch die Mitarbeit in einer von Roland Koch geführten Landesregierung vorstellen?
Schäfer-Gümbel: Wir schließen gar nichts mehr aus. Klar ist natürlich auch, dass eine große Koalition noch dazu unter Koch alles andere als meine Wunschvorstellung wäre. Aber wie gesagt, wir schließen nichts mehr aus.

Express: Was sagen Ihre Frau und Ihre drei Kinder zu Ihrem unerwarteten neuen Posten? Haben sie sich gefreut?
Schäfer-Gümbel: Meine Frau hat gesagt, wenn die Bedingungen stimmen, soll ich's machen. Ich habe die volle Unterstützung meiner Familie. So, und jetzt stehe ich hier und ahne, was vor mir liegt: Es werden 70 knochenharte Tage bis zur Wahl. Aber wir haben alle Chancen.

Interview: Georg Kronenberg

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