Express Online: Thema der Woche | 26. Februar 2009

Wege aus dem Pflege-Dschungel

Modellprojekt in Marburg

Als Ewald Egerding aus Biedenkopf-Kombach nach einem schweren Sturz ins Krankenhaus gebracht wurde, fiel seine Frau Marie-Luise erst einmal in ein Loch. Nicht nur wegen der Angst um ihren 72-jährigen Ehemann, der Verletzungen an Becken und Wirbeln erlitt. Sie wusste auch nicht, wie sie den Alltag mit ihm in Zukunft bewältigen sollte. Laufen konnte er nämlich nicht mehr: "Ich stand mit dem Problem ganz allein da", sagt die 69-Jährige.

Hilfe in der Krise fand Marie-Luise Egerding beim ersten und bislang einzigen hessischen Pflegestützpunkt, der seinen Sitz im Marburger Hinterland hat. Neben den täglichen Besuchen im Krankenhaus war sehr viel zu organisieren. Der Kranke musste mühsam wieder gehen lernen. Inzwischen kann er sich zumindest mit einem Rollator bewegen. Doch dazu mussten Stolperfallen wie Schwellen und Teppiche aus der Wohnung verschwinden, Haltegriffe angebracht und ein Krankenbett angeschafft werden.

Diana Gillmann vom Pflegestützpunkt organisierte den Pflegedienst, klärte die finanziellen Fragen, half bei der Einrichtung und vermittelte einen Gesprächskreis für Angehörige. Die Unterstützung hat dem Paar Mut gemacht: "Dadurch ist unser Leben wieder in die gerade Bahn gekommen", sagt Marie-Luise Egerding.

Der Fall ist typisch für ihre Arbeit, sagt Diana Gillmann. Die meisten Angehörigen sind völlig überfordert, wenn ihr Partner oder die Eltern nach einem Schlaganfall, einem Sturz oder durch Demenz Pflege brauchen. Sie haben kaum Zeit – deswegen kommt die Mitarbeiterin oft zu ihren Kunden nach Hause. Und sie sehen sich einer unüberschaubaren Fülle von Pflegediensten, Ärzten, Sozialdiensten, Altenheimen, Reha-Teams, Pflegebegleitern und Therapeuten gegenüber. Hier setzt die unabhängige Beratung des Pflegestützpunktes an, der alle Träger an einen Tisch bringt und Hilfepläne erarbeitet. "Für viele Angehörige ist die Pflege an sich nicht das größte Problem", weiß Diana Gillmann: "Aber sie fühlen sich oft allein gelassen und überfordert." In dieser Situation einen zentralen Ansprechpartner zu haben, sei eine Erleichterung.

Eingerichtet wurde der Pflegestützpunkt im vergangenen Jahr als Modellprojekt im Altkreis Biedenkopf bei Marburg. Ziel ist es, dass die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben können.

Der Erste Kreisbeigeordnete Karsten McGovern (Grüne) hält das Modell für ausgezeichnet: "Es gibt eine zentrale Anlaufstelle, die den Kunden die Chance bietet, sich wirklich umfassend und neutral zu informieren", erklärt der Sozialdezernent des von einer Jamaika-Koalition regierten Kreises.

Freilich handelt es sich um ein von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vorangetriebenes Projekt, das zunächst auf scharfe Kritik von Union und Ärzten stieß. Die CDU fürchtete, dass neue bürokratische, ineffiziente und teure Strukturen geschaffen werden. Der Präsident der Hessischen Landesärztekammer Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach hält die Anlaufstellen bis heute für überflüssig. Mit den vorhandenen Einrichtungen könnten die Beratungen bereits geleistet werden, sagt er.

Die Koalition einigte sich jedoch auf einen Kompromiss, nach dem jedes Bundesland selbst über die Einrichtung von Pflegestützpunkten entscheidet. Das Land Hessen hat sich für die Anlaufstellen ausgesprochen. "Sie bieten Rat und Hilfe aus einer Hand", lobt Sozialministerin Silke Lautenschläger.

Der Stützpunkt im Marburger Hinterland wird jedenfalls sehr gut angenommen. Seit dem Start im April 2008 wurden allein im Altkreis Biedenkopf mehr als 700 Menschen beraten.

Pflegestützpunkte für ganz Hessen

Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wurde die Einrichtung von Pflegestützpunkten beschlossen, über die jedes Bundesland selbst entscheidet. Sie sind unabhängig und müssen gut erreichbar sein.

Hessen will noch in diesem Jahr 26 Anlaufstellen für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt einrichten. Später sollen bis zu 88 Stützpunkte entstehen. Wo die nächste Anlaufstelle eingerichtet wird, ist nach Auskunft des Hessischen Sozialministeriums noch offen. Zur Zeit wird über die Finanzierung verhandelt.

Eine Anschubfinanzierung in Höhe von 4,4 Millionen Euro soll aus dem Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung kommen. Dies entspricht 45 000 Euro pro Stützpunkt.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 26. Februar 2009

Gewusst wie

Liebigstraße wird wieder zur "Wissensmeile" – Experimentatoren können sich ab sofort anmelden

Mitmach-Versuche und Aha-Effekte sind bei der Neuauflage der "Straße der Experimente" garantiert - auch der Besucherrekord vom vergangenen Jahr soll übertroffen werden: Das Wissenschaftsfestival kehrt am 17. Mai zurück in die Liebigstraße. Zum dritten Mal verwandeln dann die Veranstalter rund um das Mathematikum die Straße vor dem Mitmach-Museum in eine Experimentier- und Flaniermeile. Als Höhepunkt der Gießener Wissenschaftstage erwartet Mathematikum-Direktor Albrecht Beutelspacher erneut eine Reihe ebenso lehrreicher wie unterhaltsamer Versuche, "die aber nicht nur aus dem naturwissenschaftlichen Bereich kommen müssen". Schon bei der Premiere der Veranstaltung 2006 hatte der Baby-Simulator eines Geburtshauses für Aufsehen gesorgt. Und Armin Eikenberg von der Fachhochschule Gießen-Friedberg kann sich in diesem Jahr sogar "ein betriebswirtschaftliches Experiment" vorstellen.

Im vergangenen Jahr hatten die Experimente und Mitmach-Versuche rund 10.000 Besucher angelockt - neuer Rekord. Vor den 35 Wissens-Ständen auf der einspurig gesperrten Liebigstraße gab es teilweise kaum ein Durchkommen. "Es dürfte kein anderes Wissenschaftsfestival mit solch einem Effizienzgrad geben", sagte Initiator Beutelspacher. Immerhin lägen die Kosten der Veranstaltung bei gerade mal 15.000 Euro, was für ein Wissenschaftsfestival äußerst gering sei.

Zu den Veranstaltern zählt neben dem Mathematikum, der Gießen Marketing GmbH, der Stadt Gießen und den beiden Gießener Hochschulen in diesem Jahr erstmals auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Gießen-Friedberg. "Wir wollen unsere Mitglieder ansprechen, ihrerseits Experimente beizusteuern", sagte Manfred Felske-Zech von der IHK. Schließlich wolle man vor allem Kinder für die Forschung begeistern: "Das sind die Fachkräfte von morgen."

Die Veranstalter erwarten auch in diesem Jahr wieder Publikumszahlen im fünfstelligen Bereich. Zurzeit arbeiten die Organisatoren deshalb noch an einer Erweiterung des Platzangebotes. Denn leider zieht das Straßenverkehrsamt der Stadt bei den Vorbereitungen des so populären Wissenschaftsfestivals nur bedingt mit: Die vollständige Sperrung der Liebigstraße zwischen Frankfurter Straße und Bahnhofsstraße, die das Mathematikum nach dem Besucherrekord im vergangenen Jahr angeregt hatte, wurde abgelehnt.

Experimentatoren gesucht

Noch bis zum 31. März können sich Interessenten mit ihren Versuchen beim Organisationsteam um Steffi Kohsiek und Linda Beukemann bewerben. Eine Jury der Veranstalter unter der Leitung von Albrecht Beutelspacher wird entscheiden, welche Experimente mitmachen können. Für die Ausgewählten ist die Teilnahme an der "Straße der Experimente" kostenlos; Zelte, Tische, Stühle und Stromanschluss stellt das Mathematikum zur Verfügung.

Thematische Vorgaben gibt es für die Experimente nicht, auch keine Beschränkung auf naturwissenschaftliche Bereiche. So zeigte das Stadttheater im vergangenen Jahr etwa Hintergründe zum "Geheimnis eines Bühnenbildes". Am Stand des Schulverwaltungsamtes übten sich Besucher beim gemeinsamen Balancieren von Stäben und Stapeln von Holzklötzen in Kooperation. An anderer Stelle wurden Panflöten aus japanischem Staudenknöterich gebaut. Aber auch klassische Disziplinen waren vertreten - wie zum Beispiel durch einen astronomischen Stand zu "Sonnenbeobachtung im H-Alpha-Licht", Vakuum-Physik zum Ausprobieren und Ansichten einer Libellenlarve mit Raketen-Antrieb.

Weitere Infos gibt es telefonisch unter 0641/9697970 oder auf der Website www.mathematikum.de. Dort lässt sich auch der Ausschreibungsflyer herunterladen.

kro/pe

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