Express Online: Thema der Woche | 19. März 2009

Muße & mehr

Grünes Paradies in der Stadtmitte: Gießens Botanischer Garten feiert 400. Geburtstag

Das wahre Kleinod von Gießen liegt ganz im Zentrum und doch versteckt: Ein unauffälliges schmiedeeisernes Tor in der Bruchsteinmauer neben dem Alten Schloss weist den Weg zum Botanischen Garten.

Bis in die 70er Jahre wurde die lauschige Grünanlage mit schmalen, verschlungenen Pfaden fast ausschließlich als Forschungs- und Pflanzenanbauort der Universität genutzt. Heute ist er längst kein Geheimtipp mehr. So mancher Gießener legt in der rund drei Hektar großen schattigen Grünanlage gerne mittags ein Mußestündchen ein. Und so manche klettern in Sommernächten über die Gartenmauer und nutzen die Anlage außerhalb der Öffnungszeiten für andere Stündchen.

Kurz: die Gießener lieben ihn als Naherholungsort, die Wissenschaftler schätzen ihn als Fundus für Forschung und Lehre, die Politiker haben ihn zum Kulturdenkmal des Landes Hessen erklärt.

In diesem Jahr feiert der rund drei Hektar große Garten sein 400-jähriges Bestehen. Und ist dabei auch Rekordhalter: er ist der älteste Botanische Garten Deutschlands, der seit seinen Anfängen nicht verlegt worden ist – und damit einer der wenigen, die sich heute noch unmittelbar in einem Stadtzentrum befinden. Seine Anfänge gehen auf das Jahr 1609 zurück, als Landgraf Ludwig von Hessen der wenige Jahre vorher gegründeten Universität ein Stück Parkgelände zur Errichtung eines "hortus medicus" (Heilpflanzengarten) überließ.

Über 7500 verschiedene Pflanzenarten haben heute im ehemaligen hortus medicus ihre Heimat gefunden. Darunter sind allein 250 verschiedene Baumarten. Zu deren eindrucksvollsten Vertretern gehört die etwa 25 Meter hohe, seltene Chinesische Flügelnuss, die mit ihrer wuchtigen Krone gleich neben dem Gärtnerhaus steht. Rund 150 Jahre ist sie alt. Der Ginkgobaum nahe des Eingangs wurde bereits 1816 gepflanzt. Laut Gartenleiter Holger Laake gibt es nur wenige botanische Gärten mit so altem Baumbestand.

Eine Besonderheit ist auch die kulturhistorische Abteilung – dort sind die Pflanzen nach den Zeitabschnitten geordnet, in denen sie erstmals von Menschen genutzt wurden: beispielsweise Holunder in der Jungsteinzeit, oder Esskastanien und Pfirsichbäume, die von den Römern einst mit über die Alpen gebracht wurden.

Auf rund 1200 Quadratmetern Gewächshausfläche gedeihen in Gießen tropische Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao, Vanille, Papyrus, Zuckerrohr oder auch riesige Farne genauso wie die kleinen, fleischfressenden Venus-Fliegenfallen. Eindrucksvoller Blickfang ist die Victoria-Seerose aus dem Amazonasgebiet, die als Attraktion in keinem Botanischen Garten fehlen darf. Der Blattdurchmesser der weiß-rosa blühenden Pflanze liegt bei bis zu eineinhalb Metern.

In der Parkmitte, wo einst das im 2. Weltkrieg zerstörte, architektonisch eindrucksvolle Palmenhaus stand, lädt heute ein idyllischer Teich umrandet von Parkbänken zum Verweilen ein. Der vielleicht schönste Rastplatz im Garten ist aber unmittelbar neben einem der ersten klassizistischen Denkmäler aus Gusseisen, 1826 zu Ehren des Gartenleiters Friedrich Ludwig Walther (1759-1824) errichtet. Von dort ist der Blick frei auf das um 1300 begründete Alte Schloss, das bei einem Bombenangriff 1944 zerstört und in den 70er und 80er Jahren nach dem Renaissance-Erscheinungsbild neu aufgebaut wurde.

Ins Jubiläumsjahr geht der Botanische Garten mit einem neuen Leitbild: er soll als "Garten der Evolution" verschiedene Stufen der Evolution präsentieren. Eines der Gewächshäuser wird deshalb demnächst zu einem Evolutionshaus umgestaltet, um in der Ausbildung der Studierenden, auf Führungen für Schüler und Lehrerfortbildungen die Entstehung des Pflanzenreichs begreifbar zu machen.

In das neue Gesamtkonzept fügt sich – passend zum Darwin-Jahr 2009 – der neue Evolutionsdenkpfad (kurz: "Darwin-Pfad") ein, der im Juni fertiggestellt sein soll: Auf einem historisch geleiteten Sandweg durchläuft der Besucher dann Stationen, an denen er mit zentralen Fragen des Lebens konfrontiert wird. In Anlehnung an Darwins Sandpath in Down House, auf dem dieser während langer Wanderungen seine Ideen entwickelte, soll die intensive Beschäftigung mit existenziellen Fragen helfen, zu eigenen Lösungen zu kommen.

Ab Frühlingsanfang, 20. März, ist der Botanische Garten wieder für Besucher geöffnet. Die Öffnungszeiten sind montags bis freitags von 8.00 – 15.30 Uhr sowie samstags, sonn- und feiertags von 8.00 – 16.00 Uhr

Neben zahlreichen zusätzlichen Führungen wird es zum Jubiläum unter anderem eine Ringvorlesung und eine Ausstellung im Hauptgebäude geben. Offiziell wird das Jubiläum am 15. Mai mit einem Festakt in der Aula der Universität gefeiert. Einer breiten Öffentlichkeit will sich das "Geburtstagskind" am 17. Mai bei einem "Tag der offenen Tür" präsentierten. Infos: www.uni-giessen.de/botanischer-garten/.

Georg Kronenberg


Express Online: Thema der Woche | 19. März 2009

Werkstatt mobil

Wenn Kinder mit Spaß und Freude kreativen Potentiale entdecken: Das Kunst-KofferProjekt der KunstWerkStatt Marburg

Bei jedem Wetter und jeweils zu zweit transportieren die Kunst-Koffer Trägerinnen Randi Grundke, Brigitta Fischer, Susanne Dilger und Ines Vielhaben immer Montags zwischen 15 und 17 Uhr unterschiedliche Materialien wie Farben, Ton, Holz, Papier und Pappen sowie ausreichend Werkzeuge zum Richtsberg und zum Stadtwald, um dort allen daran interessierten Kindern kostenfrei die Chance zum kreativen Schaffen ohne schulischen Rahmen und Zielvorgaben zu bieten. Vor allem sozial benachteiligte Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund wollen sie mit ihren Angeboten erreichen.

Doch die Idee der Kunst-Koffer ist geschlechtsunspezifisch und altersübergreifend gedacht, so Ines Vielhaben, und es braucht keinerlei Vorkenntnisse zum Mitmachen. Vielfältige Möglichkeiten zum phantasievollen Aufbruch stecken in der Kunstkofferkonzeption, um künstlerische Arbeitsweisen sowie spielerische Lern- und Entdeckungsprozessen der Sinne zu fördern, so das Credo der vier Dozentinnen der Kunstwerkstatt. "Durch die Arbeit nebeneinander und durch das Teilen der gleichen Materialien wird die Toleranz gegenüber anderen Ausdrucksformen gefördert. Es entsteht die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung", beschreibt Ines Vielhaben ihre bisher gemachten Beobachtungen von Kindern, die bei den Kunst-Koffer-Workshops mitgemacht haben. "Dabei verstehen wir uns, wenn gewollt, als Hilfegebende, die aber nicht aktiv in die Schaffensprozesse der kleinen Künstler eingreifen oder gar Vorgaben machen. Die Kinder geben uns als Zeichen ihrer Wertschätzung und als einzige Verbindlichkeit ihrerseits eine Unterschrift in ein Buch. Ihre Werke nehmen sie mit nach Hause. Mit diesem Ansatz und durch die universelle Sprache des Materials fördern wir nicht nur ein friedliches Nebeneinander sondern auch ein integratives Miteinander".

Wichtige Synergien, wenn etwa am Richtsberg mithilfe der Bürgerinitiative für Soziale Fragen geeignete Wirkungsstätten für die mobilen Kunst-Koffer-Ateliers gefunden wurden oder am Stadtwald die Freie Schule zur Aufbewahrung der Kunst-Koffer Platz in ihrer Garage Platz machte ermutigen die Kunstkofferträgerinnen, auch über eine Kunst-Koffer-Haltestelle im Waldtal nachzudenken. Das braucht aber zusätzliche Mittel. "Durch die Kunst-Koffer erreichen wir Kinder, die ansonsten außen vor bleiben und es ist faszinierend, wenn auch die Halbwüchsigen mal ihre Vorurteile über Board werfen, neugierig werden und schließlich mit Geschick filigrane Arbeiten ausprobieren", erzählt Randi Grundke und ergänzt " Derzeit schwankt die Teilnehmerzahl an den Kunst-Koffer-Haltestellen zwischen 12 und 30 Kindern von 2 bis 17 Jahren. In unseren Augen ist das ein großer Erfolg."

Thomas Gebauer

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