Express Online: Thema der Woche | 26. März 2009

Kein Alkohol für Kids

Marburger Supermarkt legt junge Säufer trocken

Seit der Selbstverpflichtung ist das böse Wort von den "Rewe-Kids" in Marburg Vergangenheit. So nannten Geschäftsleute und Anwohner die betrunkenen Jugendlichen, die sich jedes Wochenende in Marburgs neuer Mitte die Kante gaben. Der bis Mitternacht geöffnete Einkaufsmarkt zwischen Stadtautobahn und Kino war nämlich die erste Anlaufstelle für die Teenies, die sich gleich vor dem Eingang Wodka in harmlos aussehende Orangensafttüten kippten.

Das ist nun vorbei. Der Supermarkt hat sich selbst verpflichtet, grundsätzlich keinen Alkohol mehr an unter 18-Jährige zu verkaufen. Abends ab 20 Uhr gibt es auch für die Erwachsenen keinen Schnaps mehr. "Das dürfte bundesweit einmalig sein", sagt der Geschäftsführer der hessischen Landesstelle für Suchtfragen, Wolfgang Schmidt. In abgeschwächter Form beteiligt sich daran auch der nahe gelegene Tegut-Markt.

Die französischen Verhältnisse waren bei der Einführung der Selbstverpflichtung im Dezember noch kein Thema. Im Nachbarland hat die Nationalversammlung vor wenigen Tagen beschlossen, das Mindestalter für die Abgabe von Bier, Wein und Zigaretten von 16 auf 18 Jahre zu erhöhen. In Hessen sind die Suchtexperten schon froh, wenn die bestehenden gesetzlichen Regelungen eingehalten werden: Kein Schnaps für unter 18-Jährige. Bier und Wein darf aber durchaus schon an 16-Jährige verkauft werden.

Rewe-Geschäftsführer Uwe Kranich hat die Folgen beobachtet: "Ich habe mitgekriegt, wie Jugendliche sich schon vor der Schule noch einen Sixpack geholt haben und besoffen in die Klasse kamen", erzählt er: "Da habe ich uns selbst in der Pflicht gesehen."

Die Idee stammt von Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD). Angesichts der öffentlichen Saufgelage auf den Straßen rund um den Elisabeth-Blochmann-Platz hatte er für fünf Monate ein öffentliches Alkoholverbot verhängt. Mit Verboten ließen sich die Probleme aber nicht lösen: "Damit wollte ich nur aufrütteln", erklärt der Sozialdemokrat. Mit der Selbstverpflichtung will er vor allem den Nachschub in den Nachtstunden erschweren. Mit Erfolg: Die Zahl der alkoholbedingten Straftaten von Jugendlichen ist in Marburgs neuer Mitte ist seitdem zurückgegangen. Allerdings kontrollierte auch die Polizei mehr als vorher. Das dies reicht, glaubt Vaupel aber nicht.

Womit niemand gerechnet hatte: Die Selbstverpflichtung ist auch ein ökonomischer Erfolg. Rewe-Geschäftsführer Uwe Kranich berichtet von einem Umsatzplus von 18 Prozent im Januar und Februar. Neuerdings kaufen abends nämlich wesentlich mehr Familien ein, die sich nicht mehr durch randalierende und saufende Jugendliche gestört fühlen. Zudem spart er am Sicherheitspersonal. Jetzt will er auch das Alkoholregal verkleinern.

Wenn es eine Verbindung zwischen Einkaufsmärkten und betrunkenen Jugendliche gebe, könne eine Selbstverpflichtung eine gute Möglichkeit sein, sagt Wolfgang Schmidt von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen. Generell rät er aber nicht dazu, den französischen Weg zu gehen: "Erst müssen die bestehenden Gesetze eingehalten werden", sagt der Suchtexperte. Testkäufe belegten, dass in vielen Fällen gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen werde – sei es aus Unaufmerksamkeit oder Geschäftstüchtigkeit. Zudem stoße man mit Verboten an Grenzen. "Damit ist die Frage, warum Jugendliche so aufdrehen, nicht gelöst", sagt Schmidt.

IHK-Sprecher Walter Ruß setzt denn auch lieber auf Prävention. Nach einer Umfrage unter 700 Marburger Geschäftsleuten stimmten 64 Prozent der Befragten gegen ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Auch die Einschränkung des Alkoholverkaufs an Jugendliche sieht Ruß mit Skepsis: "So lange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, raten wir nicht dazu." Wenn betrunkene Jugendliche in Massen auftreten, machten jedoch auch die Händler schlechtere Umsätze.

Gesa Coordes

Express Online: Thema der Woche | 26. März 2009

Symbolhafte Bilder, verwundete Seelen

Aus der Bahn geworfen: "Trennschärfe" vom Gießener Regisseur Csongor Dobrotka kommt am 30. März wieder ins Kino

Mit so einem Andrang hatte Csongor Dobrotka nicht gerechnet: "Bei der Premiere mussten wir 50 Leute nach Hause schicken, weil das Kino total ausverkauft war", berichtet der junge Filmemacher. Nach dem Erfolg musste schnell ein zweiter Aufführungstermin her: "Trennschärfe", der erste Spielfilm des in Wetzlar aufgewachsenen 34-jährigen Regisseurs wird am 30. März im Heli Kino zum zweiten Mal aufgeführt.

In poetischen Bildern, mit eindringlichem Schauspiel und untermalt von einem hypnotischen Soundtrack erzählt der rund anderthalbstündige Film, der in Mittelhessen gedreht wurde, von einem obdachlosen Mann und einer geheimnisvollen jungen Frau, deren jeweiliges Leben aus den gewohnten Bahnen bricht. Unerwartet werden sie von früheren Erlebnissen eingeholt. Für beide beginnt ein rätselhafter Albtraum, in dem ihre Geschichten mehr und mehr aufeinander zulaufen, bis sie sich am Ende überraschend miteinander verbinden.

Mir war es wichtig, filmisch auszuloten, was Menschen im Augenblick der Erinnerung empfinden und erleben, erklärt Dobrotka die Grundidee seines Films, der auch gleichzeitig seine Abschlussarbeit am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Gießener Uni ist. "Ich möchte zeigen, dass ihnen dabei Vergangenes wie Gegenwart erscheinen kann und Vorgestelltes wie Realität." Diesen Anspruch hat er zusammen mit den Autorinnen Beate Bambauer und Maike Schönfeld sowie dem Autor und Soundtrackkomponisten René Rösler zu einem komplexen Drehbuch verarbeitet, in dem Zeit und Raum sowie das innere und äußere Erleben der beiden Hauptfiguren Eduard und Karla sich zunehmend miteinander verschränken.

Die Geschichte: Eduard lebt schon seit Jahren auf der Straße und wandert von Ort zu Ort. Eines Tages werden in ihm längst vergessene Erinnerungen wach und er begibt sich auf eine Reise zurück. Er steigt in einen Bus, der ihn unerwartet von seinem Ziel entfernt. Gemeinsam mit zwei Fremden versucht er einem menschenleeren Gebiet zu entkommen, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt. Karla lebt zurückgezogen und verlässt niemals ihre Wohnung. Zweimal in der Woche vermietet sie ihr Wohnzimmer an einen Klub älterer Damen, diese Abende sind Karlas Fenster zur Außenwelt. Als ein Anruf ihre berechenbare Zuflucht zerstört, verschwinden alte Freunde, während unerwünschte wieder auftauchen. Für beide, Eduard und Karla, beginnt eine poetisch inszenierte Veränderung, an deren Ende sie sich auf schmerzhafte und für den Zuschauer unerwartete Weise begegnen.

Die Darsteller: Für die Rolle des obdachlosen Eduard hat Regisseur Dobrotka den in der freien (mittelhessischen) Theaterszene tätigen Schauspieler und früheren HR-Journalisten Peter Gerst gewonnen. "Er gab diesem Charakter Lebenstiefe und verkörperte ihn so glaubwürdig, dass Passanten ihn während der Dreharbeiten für echt hielten. Einige schenkten ihm Geld, andere beschwerten sich, dass das Team ganz schamlos Aufnahmen von so einem "armen Kerl" macht", berichtet Dobrotka. Die zweite Hauptfigur, Karla, wird von Judith Niederkofler gespielt, die bereits am Schauspiel Frankfurt zu sehen war.

Dreh und Produktion: Die Dreharbeiten fanden an insgesamt sechs Wochen im August und September an Locations in und um Gießen und Wetzlar statt. Insgesamt wirkten über 60 Personen an dem rund 15.000 Euro teueren Film mit. Entstanden ist er im Rahmen der Hessischen Theaterakademie in Kooperation zwischen dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus Liebig Universität und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main.

Trennschärfe wird am 30. März um 20 Uhr im Heli Kino, Gießen aufgeführt. Weitere Termine stehen noch nicht fest.

kro/pe

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