Express Online: Thema der Woche | 9. April 2009

Homoheiler bei Therapeuten-Kongress?

Ex-Gay-Bewegung
Das "Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft" und Wüstenstrom werden der Ex-Gay-Bewegung zugerechnet. Wüstenstrom bietet Beratungen, Seminare und Selbsthilfegruppen für Menschen an, die Beziehungen, "ihre Identität als Frau oder als Mann" oder ihre Sexualität konflikthaft erleben. Der in Baden-Württemberg ansässige Verein gibt an, Homosexuelle "ergebnisoffen" zu beraten. Nach einem Urteil des Landgerichts Frankfurt darf der Bremer FR-Korrespondent Eckard Stengel Mitarbeiter des Vereins jedoch als "Homo-Umpoler" bezeichnen.
Christl Ruth Vonholdt ist Leiterin des deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft, einem Studienzentrum der Offensive Junger Christen. Nach ihrer Überzeugung ist die Veränderung der homosexuellen Orientierung grundsätzlich möglich. Die Kinderärztin kritisiert Bücher, in denen es heißt: "Schwul sein ist nur eine andere Art zu lieben".
Gesa Coordes
Im Kreuzfeuer der Kritik stehen zwei Referenten, die nach Überzeugung des Schwulen- und Lesbenverbandes "Homosexuelle zu Heterosexuellen therapieren wollen"

Da wird pseudowissenschaftlichen Homoheilern und Umpolern ein Forum geboten", kritisiert Renate Rampf vom Verband der Lesben und Schwulen in Deutschland. Die Organisation macht Front gegen den Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge, zu dem in der Zeit vom 20. bis 24. Mai mehr als 1000 Teilnehmer in Marburg erwartet werden. Die grüne Landesmitgliederversammlung spricht in ihrem Beschluss sogar von einem "Homophobie-Kongress".

Im Kreuzfeuer der Kritik stehen zwei Referenten, die nach Überzeugung des Schwulen- und Lesbenverbandes "Homosexuelle zu Heterosexuellen therapieren wollen". Dabei handelt es sich um Markus Hoffmann, der eine "Umpolungsorganisation" namens Wüstenstrom leite, und Christl Ruth Vonholdt vom "Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft. In Zusammenarbeit mit dem Institut sei ein Buch veröffentlicht worden, in dem Homosexuelle als "psychologisch und biologisch unreife Menschen" bezeichnet werden.

Die grüne Landesmitgliederversammlung sowie der Lesben- und Schwulenverband fordern die Universität und die Stadt Marburg auf, sich von den ihren Räumen stattfindenden "Umpolungsangeboten" zu distanzieren. Der Veranstalter des Kongresses, die "Akademie für Psychotherapie und Seelsorge", sei bekannt dafür, homosexuellenfeindliche Angebote zu unterstützen.

Das sieht die Marburger Philipps-Universität anders. Bereits in der Vergangenheit habe die Akademie Räume bei der Hochschule gemietet, sagt Uni-Sprecherin Viola Düwert. Dabei habe es sich um "völlig neutrale Veranstaltungen" gehandelt. Die Tagungsinhalte sollen aber nun noch einmal näher beleuchtet werden. Oberbürgermeister Egon Vaupel hat sich jetzt an die Veranstalter gewandt. Den Ausgang der Gespräche wolle er zunächst abwarten. Grundsätzlich stellte er aber klar: "Schwulsein und Lesbischsein ist natürlich keine Krankheit."

Bei der "Akademie für Psychotherapie und Seelsorge" handelt es sich um eine evangelikale Organisation, die bereits den dritten Kongress dieser Art in Marburg abhält. Die Diskussion um die beiden Referenten kann Veranstalter Dr. Martin Grabe nicht verstehen. Zum einen gehe es bei dem Kongress nicht um Sexualität sondern um das Thema "Identität – der rote Faden in meinem Leben". Zum anderen handele es sich um " eine Gesprächsplattform, um Therapeuten und Seelsorger aller Konfessionen ins Gespräch zu bringen", sagt Grabe, der gleichzeitig Chef der Abteilung für Psychotherapie der Klinik Hohe Mark in Oberursel ist: "Zu jedem heißen Thema ist das ganze Spektrum der kirchlichen Diskussion vertreten." Deshalb seien unter den 120 Referenten auch Menschen wie Hoffmann und Vonholdt: "Wir möchten nicht, dass Leuten von vornherein der Mund verboten wird", sagt Grabe: "Unser Ziel ist es, divergierende Meinungen an einen Tisch zu bekommen." Bekennende Homosexuelle finden sich allerdings nicht unter den Vortragenden.

Referenten des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft hatten bereits beim "Christival" im vergangenen Jahr in Bremen für scharfe Proteste gesorgt. Sie boten während des großen evangelikalen Jugendtreffens ein Seminar unter dem Titel "Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung" an. Auf Intervention von Grünenpolitiker Volker Beck wurde das Seminar aus dem Programm genommen. Ebenfalls abgesetzt wurde eine Veranstaltung von Hoffmann bei einem internationalen Kongress über "Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie", der 2007 in Graz stattfand.

In Marburg will Christl Ruth Vonholdt über "Weibliche Identitätsentwicklung und mögliche Probleme" sprechen. Bei Markus Hoffmann geht es um "Reifung in der Identität als Frau und als Mann". In der Beschreibung der Veranstaltungen wird das Wort "Homosexualität" sorgfältig vermieden: "Das ist Politik", sagt Reinhold Weicker, Sprecher des ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche. Für die Grünen ist klar: "Die Seminare sind erkennbar als Angebote zur ‚Heilung" Homosexueller angelegt." Sollten sie stattfinden, kündigen sie ihren entschiedenen Widerstand an.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 9. April 2009

Von Monstern, Geistern und Vampiren

"The Summer of 1816" – Von Monstern, Geistern und Vampiren
Die Ausstellung wird in der Universitätsbibliothek im Phil I am Mittwoch, 15. April, um 19.30 Uhr mit einem Theaterstück von Anglistik-Studierenden sowie Vorträgen von Ulrike Wyche zum Vampirismus und Alexander Eilers zu Frankenstein eröffnet.
Die Schau ist bis zum 15. Mai täglich von 8.30 bis 23.00 Uhr zu sehen.
kro
Wie das Frankenstein und der klassische Vampir entstanden, zeigt die Ausstellung "Summer of 1816" in der Universitätsbibliothek

Mieser hätte das Wetter kaum sein können: Es war bitterkalt, regnete wochenlang in Strömen, die Sonne ließ sich nicht blicken. 1816 ist als das "Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher eingegangen. Die von einem Vulkanausbruch ausgelöste weltweite Kälteperiode hatte Unwetter, Überschwemmungen und Missernten zur Folge. Doch so katastrophal der Kälteeinbruch für die Natur auch war – für die englische Dichtung hatte er äußerst positiv Folgen, weiß Alexander Eilers, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik der Gießener Uni: "Das war ein Brennpunkt der englischen Literaturgeschichte."

Denn in einer Villa am Genfer See versuchte sich Mitte 1816 eine Gruppe illustrer Urlauber die Langeweile ob des anhaltend schlechten Wetters zu vertreiben: der in England einst gefeierte Dichter Lord Byron, der sein Heimatland gerade erst wegen diversen Beziehungs-Skandalen verlassen hatte, sein Leibarzt John Polidori, die Literaten Percy und Mary Shelley (damals noch Mary Wollstonecraft Godwin) sowie Marys Stiefschwester Claire Clairmont.

Die scheußlich kalten Sommerabende versüßten sich die Literaten in ihrem Feriendomizil mit einer berauschenden Mixtur aus Opium und Alkohol. und diskutierten nahezu endlos: über das Prinzip des Lebens, die gerade erst zwei Jahre zurückliegende Niederlage Napoleons bei Waterloo, die Industrielle Revolution oder okkulte Phänomene.

Während draußen Blitze über dem Genfer See niedergingen, lasen sie sich bei von Kerzenlicht beschienen Soiréen Gruselgeschichten vor – und starteten einen Wettbewerb im Schauergeschichten-Schreiben, der wesentliche Werke der englischen Literatur begründen sollte.

Mary Shelly begann wenige Tage danach ihren Frankenstein", berichtet Eilers. Byron wiederum habe am Genfer See die erste Vampirerzählung in der europäischen Literatur konzipiert. Die später von seinem Leibarzt Polidori vollendet wurde – und das bis heute vorherrschende Bild des boshaften, mächtigen und erotischen Gentlemen-Vampirs prägt.

Polidoris "The Vampyre" und Mary Shellys Frankenstein stehen denn auch im Mittelpunkt der Ausstellung "Summer of 1816 – Von Geistern, Monstern und Vampiren", die Eilers zusammen mit 20 Studierenden eines Anglistik-Seminars konzipiert hat. In gruftigem Ambiente zeigt sie in Originalmanuskripten, Filmmaterial und Schautafeln den Werdegang der beiden Hauptwerke, die von dem Schreibwettbewerb am Genfer See inspiriert wurden. Auch ein original Ballkleid aus Coppolas Dracula-Verfilmung und ein Sarg, der als Requisite mit dem Musical Camilla auf Europatournee war, wird ausgestellt. Dabei soll die Schau düster und aufklärerisch zugleich sein: "Wir wollen mit gängigen Vorurteilen über die Dichter aus der Zeit der Romantik aufräumen", sagt Eilers. "Viele denken, sie seien weltfremd und ihre Literatur beschaulich und naiv." Doch das Gegenteil sei der Fall. Eilers: "Viele Werke aus der Zeit sollen bewusst provozieren. So hat Byron, der sich wegen der Skandale um seine Affären als Ausgestoßener aus dem eigenen Land gesehen hat, seinem Vampir Züge von sich selbst verliehen."

Georg Kronenberg

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