Express Online: Thema der Woche | 30. April 2009

Kids sind keine Karrierekiller

Babette Simon dürfte eine der wenigen Medizinprofessorinnen mit drei Kindern sein. Sie ist Frauenbeauftragte für Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg und seit 2006 Vizepräsidentin der Marburger Philipps-Universität. Jetzt ist die Wissenschaftlerin in das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium Deutschlands, den Wissenschaftsrat, berufen worden.

Vor kurzem hat Babette Simon ihre Wiederwahl als Vizepräsidentin der Marburger Philipps-Universität geschafft. Ihre Themen: Nachwuchsförderung und Chancengleichheit. Dazu hat die 48-Jährige viel zu sagen. Noch während des Studiums wechselte sie fürs Praktische Jahr von Freiburg nach Basel. Der Grund: An der Uni-Klinik Freiburg durften die Medizinstudentinnen vor 25 Jahren nur die Patienten auf den Stationen aufnehmen. Der Operationssaal war den Männern vorbehalten. Das wollte die Chirurgentochter aus dem Schwäbischen nicht akzeptieren: "Das war das erste Mal, wo mir so etwas begegnet ist", sagt Babette Simon.

Ansonsten sei sie oft gefördert worden – etwa von dem Freiburger Chemieprofessor, der sie für die Welt der Wissenschaft begeisterte. Ihr Forschungsthema wurden genetische Ursachen für die Entstehung von Tumoren, vor allem der gastroenterologischen Tumore.

Mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ging sie als Postdoc in die USA. An der Harvard Medical School in Boston erlebte sie nicht nur ausgezeichnete Forschungsbedingungen sondern auch eine offene Atmosphäre für Kinder. Es gab Wissenschaftlerinnen, die Mütter waren, und Gratulationen, wenn eine schwanger wurde. Dass sie vier Wochen nach der Geburt wieder im Labor stand, fand niemand merkwürdig: "Hätte ich mein erstes Kind nicht in den USA bekommen, wäre ich vielleicht kinderlos geblieben", sagt die Internistin, die schon mit 23 Jahren heiratete.

Einen krassen Unterschied erlebte sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland. Am Marburger Uni-Klinikum wurde sie Leiterin des molekularbiologischen Forschungslabors für gastrointestinale Onkologie und Endokrinologie. Damals war sie die einzige Assistenzärztin mit Kind, und es gab nur eine Krippe in Marburg: "Ich hätte fast meine Ausbildung beenden müssen, weil ich für meine zweite Tochter keine Kinderbetreuung gefunden habe." Als Leiterin eines Forschungslabors konnte und wollte Simon aber nicht einfach aussteigen. Mit viel Hartnäckigkeit fand sie einen Platz für ihre Tochter. "Da wusste ich, in was für eine Not man kommt", sagt die 48-Jährige. Dabei, das räumt sie ein, sei der klinische Alltag mit Familie ohnehin hart: "Es geht beides", sagt sie den angehenden Ärztinnen heute: "Aber man braucht viel Kraft."

Damals sprach sie nie über ihre Kinder, nahm sie nie mit in die Klinik: "Das war ein Karrierekiller", erklärt die dreifache Mutter. Sie stieg auch nie länger als ein paar Wochen wegen der Kinder aus dem Beruf aus. Stattdessen habilitierte sie sich mit einer Arbeit über die molekulare Regulation des Peptidhormons Gastrin und wurde 2003 außerplanmäßige Professorin für Innere Medizin.

Heute will sie den Medizinstudentinnen mit ihrem Beispiel Mut machen. Seit sieben Jahren ist sie Frauenbeauftragte für ärztinnen und Wissenschaftlerinnen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, seit 2006 Vizepräsidentin der Philipps-Universität. "Ich möchte Rahmenbedingungen schaffen, wie ich sie gern gehabt hätte", sagt sie. Heute hat Marburg einen Spitzenplatz bei der Betreuung der unter Dreijährigen. Auch das Klinikum hat gemeinsam mit der Stadt eine Kinderkrippe eröffnet. Weitere 60 Plätze soll es im einem neuen Lehr- und Lernzentrum des Fachbereichs Medizin geben.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch ihr Thema in der CDU, für die sie seit drei Jahren im Marburger Stadtparlament sitzt: "Ich bin immer schon jemand gewesen, der Position bezogen hat", sagt die 48-Jährige, die sich zudem für gute Ganztagsschulen und Busverbindungen einsetzt.

Dass sie nun in den Wissenschaftsrat berufen wurde, nennt Simon eine "große Ehre und eine große Herausforderung". Sie wird als eine von nur zwei Medizinern die Bundesregierung und die Bundesländer bei Entwicklung, Struktur und Finanzierung von Hochschulen sowie bei Fragen des Wissenschaftssystems beraten.

Gesa Coordes

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